Literatur und Staats:
uegierun g.
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setze für die Industrie ihr nur Schaden gethan haben, dass ihre
Gesetze für die Religion die Heuchelei vermehrt und ihre Gesetze
zur Ermittelung der Wahrheit den Meineid befördert haben. Gerade
auf dieselbe Weise hat jedes Land Schritte gethan, um den Wucher
zu verhüten und den Zins vom Gelde niederzuhalten, und immer
ist die Wirkung davon gewesen, den Wucher zu vermehren und
den Zins in die Höhe zu treiben. Denn da kein Verbot, wenn es
auch noch so strenge ist, das natürliche Verhaltniss zwischen Nach-
frage und Angebot zerstören kann, so folgte, wenn Einer zu borgen
und der Andere zu leihen wünschte, dass beide Theile sicherlich
Mittel und Wege fanden, ein Gesetz zu umgehen, das sich in ihre
gegenseitigen Rechte einmischt. H) Ueberliesse man es den beiden
Parteien, ihren Handel ungestört zu machen, so Würde der Wucher
von den Umständen des Anlehens abhängen, z. B. von dem Grade
der Sicherheit und der Wahrscheinlichkeit des Wiederbezahlens.
Aber dieses natürliche Uebereinkommen wird durch die Einmischung
der Regierung verwickelt. 46) Da die immer eine gewisse Gefahr
laufen, die dem Gesetze ungehorsam werden, so wird der Wucherer
natürlich sein Geld nicht ausleihen wollen, wenn er nicht für die
Gefahr entschädigt Wird, die ihm das Gesetz droht. Diese Ent-
schädigung kann nur der gewähren, der von ihm borgt, und muss
so in Wahrheit einen doppelten Zins zahlen, einen für die natür-
liche Gefahr des Anlehens und den andern für die Gefahr, die durch
das Gesetz hinzukommt. Und in diese Lage haben sich alle Euro-
päischen Gesetzgebungen gebracht. Durch ihre Gesetze gegen den
Wucher haben sie das vermehrt, was sie zerstören wollten; sie
'15) "Lwbservaiion rigoureuse de ces loix seroit destructive de laut commerce; aussi
ne saut-alles pas observäcs rigourczz-seanent." Mämoire sur les preis vfargcnt, sec. XIV,
in Oeuvres de Turgot VI, 278, 279. Vergl. Rioardds Werks 178, 179 mit Uomioroel,
Via de Turgot 53, 54, 228.
46) Die Kirche hat dabei geholfen. Geistliche Ooncilien enthalten zahlreiche Be-
stimmungen gegen den Wucher und 1179 befahl Papst Alexander, dass Wucherer
kein Begräbniss bekommen sollten: „Wei1 fast überall das Verbrechen des Wuehers
im Schwenge ist und viele die Geschäfte bei Seite setzen, um näwh Gefallen Wucher
zu üben, und weil- sie sich nichts daraus machen, dass fast jede Seite des alten und
neuen Testaments den Wucher verdammt, darum setzen wir fest, dass oifenbare
Wucherer weder zum Abendmahl zugelassen werden, noch wenn sie in dieser Sünde
sterben, ein christliches Begräbniss erhalten sollen." Reg. de Hoved. annal. in Rermn
anglicarzovn seriptores post Bedam 335, Lond. 1596. In Spanien trat die Inquisition
gegen den Wucher auf. Siehe Llorente, Hist. de Pmquisition I, 339. Vergl. Led-
wich, Antiquities of Ireland 133.