Staatsreäerung.
Literatur und
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Die andere Ansicht, die ich erwähnt, ist, dass wir die Civili-
sation Europas vornehmlich der Geschicklichkeit verdanken, welche
die verschiedenen Regierungen entfaltet, und ihrer Scharfsichtigkeit,
den Uebeln der Gesellschaft durch Maassregeln der Gesetzgebung
vorzubeugen. Jedem, der die Geschichte aus ihren ersten Quellen
studirt hat, muss diese Ansicht so abenteuerlich erscheinen, dass
es ihm schwer fallen wird, sie mit ernsthafter Miene geziemend zu
widerlegen. Von allen Gedanken über das Schicksal der mensch-
lichen Gesellschaft ist wirklich keiner so gänzlich unhaltbar und so
in jeder Hinsicht verkehrt als dieser. Zuerst leuchtet es ein, dass
die Regierer eines Landes unter gewöhnlichen Umständen immer
die Einwohner dieses Landes waren, genährt durch seine Literatur,
in seinen Ueberlieferungen erzogen und unter dem Einfluss seiner
Vorurtheile lebend. Solche Männer sind im besten Fall nur die
Geschöpfe, nie die Schöpfer ihrer Zeit. Ihre Maassregeln sind die
Wirkungen des socialen Fortschritts, nicht seine Ursachen._ Dies
lässt sich nicht nur aus speculativen Gründen, sondern auch durch
eine praktische Betrachtung beweisen, die jeder Leser der Geschichte
selbst anstellen mag. Keine grosse politische Bewegung, keine
grosse Reform, weder in der Gesetzgebung, noch in der Ausübung
ist je in irgend einem Lande ursprünglich von seiner Regierung
ausgegangen. Die ersten, die solche Schritte vorgeschlagen, sind
ohne Ausnahme" kühne und geistreiche Denker gewesen, die den
Missbrauch erkannten, aufdeckten und das Mittel dagegen angaben.
Aber lange, nachdem dies gethan ist, fahren selbst die aufgeklär-
testen Regierungen fort, den Missbrauch aufrecht zu erhalten und
das Mittel dagegen zu verwerfen. Endlich, wenn die Umstände
günstig sind, wird der Druck von Aussen so stark, dass die Regie-
rung nachgeben muss; und wenn die Reform gemacht ist, so wird
von dem Volk erwartet, dass es die Weisheit seiner Regierung
bewundern soll, die dies Alles gethan. Dass dies der Verlauf poli-
tischer Verbesserungen ist, muss jedem bekannt sein, der die Gesetz-
bücher verschiedener Lander in Verbindung mit dem vorhergegan-
genen Fortschritt ihres Wissens studirt hat. Ausreichende und
entscheidende Beweise davon werden in diesem Werke beigebracht
werden; beispielsweise jedoch will ich die Abschaffung der Korn-
gesetze, ohne Zweifel eine der merkwürdigsten Thatsachen der
Geschichte Englands in unserm Jahrhundert, anführen. Die Zweck-
massigkeit, ja Nothwendigkeit ihrer Abschaffung wird jetzt von
jedem einigermaassen Ilnterrichteten zugestanden; und es entsteht