230
der Religion,
Einfluss
Wendung findet. Wenn sich die Literatur") in einem gesunden
und ungezwungenen Zustande befindet, so ist sie einfach die Form,
in welcher das Wissen eines Landes aufgezeichnet wird, die Ge-
stalt, die ihm gegeben wird. In diesem Falle, wie in denen, die
wir schon betrachtet haben, können natürlich Einzelne grosse Schritte
thun und sich hoch über das gewöhnliche Maass ihres Zeitalters
erheben. Wenn sie sich aber über einen gewissen Punct erheben,
so schwächen sie ihren Nutzen für die Gegenwart; wenn sie noch
höher steigen, so zerstören sie ihn. 33) Wenn die Kluft zwischen
der intellectuellen und der praktischen Klasse zu gross ist, so
wird die erstere keinen Einfluss besitzen, die letztere keine Frucht
ernten. Dies ereignete sich im Alterthum, als der Abstand zwischen
dem unwissenden Götzendienst des Volks und den gebildeten Systemen
der Philosophen durchaus nicht zu überschreiten war; 34) und dies
war die Hauptursache, weswegen die Griechen und die Römer nicht
im Stande waren, die (Zivilisation, Welche sie eine kurze Zeit lang
besassen, zu behaupten. Ganz der nämliche Process wiederholt
sich jetzt in Deutschland, wo der werthvollste Theil der Literatur
39) Ich gebrauche das Wort Literatur für Alles, was geschrieben wird, „in seinem
ursprünglichen Sinne Benutzung der Schrift zur Aufzeichnung von Thatsachen und
Meinungen." Mure, Hist. cf the literatnre of Glreeee IV, 50.
33) Vergl. Taqueeille, Dämoeraiie en Amäriqne II, 130, mit einigen vortrefflichen
Bemerkungen über die Sophisten in Grotefs Geschichte fvon Griechenland VIII, 481.
Sir W. Hamilton, dessen Gelehrsamkeit in der Geschichte des Geistes wohl bekannt
ist, sagt: "Gerade in dem Maasse, wie ein Schriftsteller seinem Zeitalter vorangeeilt
ist, werden höchst wahrscheinlich seine Werke vernachlässigt werden." Hamiltoafs
Diseussions on plzilosoplziy 186. Eben so sagt Sir Joshua Reynolds (Tlie fom-tlz dis-
oourse in Works I, 363): „Die Gegenwart und die Zukunft kann man als Nebenbuhler
betrachten und. wer um die eine wirbt, muss erwarten, von der andern entmuthigt
zu werden."
34) Daher der intelleetuell exclusive oder wie Neander in seiner Kirchengeschichte
ganz richtig sagt, aristokratische Geist des Alterthums. Dies wird fortdauernd von
Schriftstellern übersehen, die das Wort Demokratie obenhin gebrauchen und vergessen,
dass in demselben Zeitalter politische Demokratien sehr häufig und zugleich Demo-
kratien des Gedankens sehr selten sein mögen. Zum Beweise des früher allgemein
vorherrschenden esoterischen und aristokratischen Geistes siehe folgende Stellen:
Ritter, Hist. cf aneient philos. I, 338, III, 9, 17; Tennemann, Geschichte der Philo-
sophie II, 200, 205, 220; Beausobre, Histoire aritique de Manickee II, 41; Matter,
Histoire du gnosticism I, 13, II, 83, 370; Sprengel, Ilistoire de la medeeine I, 250;
Grete, History of Greece I, 561, IV, 544; Tlzirlwall, Hist. of Greeee II, 150, VI, 95;
Warburtonä Werks VII, 962, 972; Skarpäs Histl of Egypt II, 174; Oudworth,
Intellectual system II, 114, 365, 443, HI, 20.