Literatur und
Staatsregierung.
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und ihr Leben an die Unternehmung zu wagen, die Staatsreligion
o zu stürzen. Zugleich haben die Regierungen, die ebenfalls keine
sonderlichen Freunde von Revolutionen sind, den Stillstand der
religiösen Entwickelung begünstigt; und ganz natürlicher Weise,
und wie es mir scheint sehr politisch haben sie keine grossen Ver-
änderungen vorgenommen, sondern die nationalen Einrichtungen
gelassen, wie sie sie vorfanden, also die protestantischen protestan-
tisch und die katholischen katholisch. Desswegen ist im gegen-
wärtigen Augenblick in keinem Lande die anerkannte National.
religion ein entschiedenes Kriterium der jetzigen Oivilisation des
Landes; denn die Umstände, welche diese Religion feststellten, fan-
den vor langer Zeit statt, und die Staatsreligion bleibt ausgestattet
und gegründet durch die blosse Fortsetzung eines Anstosses, der
vormals gegeben worden.
S0 viel über den Ursprung der kirchlichen Einrichtungen Euro-
pa's. Aber in ihren praktischen Folgen sehen wir einige höchst
lehrreiche Erscheinungen; denn da manche Länder ihre National-
Religion nicht ihrer eigenen vorhergegangenen Geschichte, sondern
der Autorität einzelner mächtiger Menschen verdanken, so wird man
immer finden, dass in solchen Ländern die Religion nicht die Wirkung
hervorbringt, die man von ihr hätte erwarten sollen und die sie
ihrem Inhalte nach hätte hervorbringen müssen. So z. B. ist die
katholische Religion aberglaubischer und intoleranter als die prote-
stantische, aber daraus folgt keineswegs, dass alle katholischen
Länder aberglaubischer sind als die protestantischen. So sind die
Franzosen nicht nur eben so frei von diesen hassenswerthen Eigen-
schaften als die civilisirtesten Protestanten, sondern sie sind freier
davon als einige protestantische Völker, wie die Schotten und
die Schweden. Ich spreche hier nicht von der hochgebildeten Classe,
aber von der Geistlichkeit und dem Volk im Allgemeinen muss man
zugestehen, dass es in Schottland mehr Bigotterie, mehr Aberglauben
und eine gründlichere Verachtung für die Religion anderer Menschen
giebt als in Frankreich. Und in Schweden, einem der älteßtßn
protestantischen Länder Europa's,") herrscht nicht gelegentlich,
2?) Di_e Lehre Luther's wurde in Schweden zuerst im Jahre 1519 gepredigt und
1527 wurden die Principien der Reformation auf dem Reichstage zu Westeräs förm-
lich angenommen, und Gustav Wasa konnte das Eigenthum der Kirche mit Beschlag
belegen. Geijer, Hislory nf lhe Suedes I, 110, 118, 119; Mosheiozz, Ecclesiastical
IuTsIory II, 22; Criolzlan um! Whcaton, History nf Scawdivzavia I, 399, 400. Der Ab-
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