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Religiüll,
der
Einfluss
Schutz zu nehmen; sie verbanden sich mit der katholischen Geist-
lichkeit, hemmten oft mit Gewalt die Ketzerei und hielten so die
natürliche Entwickelung des Zeitalters auf. Diese Einmischung War
fast in allen Fällen wohlgemeint und muss lediglich der Unwissen-
heit der Herrscher über die richtigen Grenzen ihres Amtes zuge-
schrieben werden, aber man kann die Uebel, welche durch diese
Unwissenheit verursacht wurden, nicht zu hoch anschlagen. Fast
150 Jahre lang litt Europa unter Religionskriegen, religiösen Metze-
leien und religiösen Verfolgungen, und nichts von alledem würde
stattgefunden haben, wäre die grosse Wahrheit anerkannt gewesen,
dass der Staat sich nicht um den Glauben der Menschen zu küm-
mern und dass er nicht das geringste Recht hat, sich in die Form
der Gottesverehrung, welche sie annehmen, zu mischen. Dieser
Grundsatz war aber früher unbekannt oder wurde wenigstens nicht
beachtet, und erst in der Mitte des 17. Jahrhunderts kamen die
grossen Religionskriege zum Abschluss, und die Hauptländer Euro-
pa's befestigten sich in ihrem Volksglauben, Welcher seitdem im
Wesentlichen nicht dauernd geändert worden ist; seit mehr als 200
Jahren hat keine Nation eine andere wegen ihrer Religion bekriegt;
alle grossen katholischen Länder sind während dessen katholisch,
alle grossen protestantischen Länder protestantisch geblieben.
Dessvvegen hat die religiöse Entwickelung in verschiedenen
Europäischen Ländern nicht ihren natürlichen Lauf genommen, ist
vielmehr zu einem unnatürlichen gezwungen worden. Nach dem
natürlichen Verlauf sollten die eivilisirtesten Länder alle protestan-
tisch und die uncivilisiirtesten katholisch sein. Durchschnittlich ist
dies auch wirklich der Fall, und dadurch sind manche zu dem
sonderbaren Irrthum verleitet worden, die ganze moderne Auf-
klärung dem Einiiuss des Protestantismus zuzuschreiben, wobei sie
die wichtige Thatsache übersehen, dass der Protestantismus, bevor
diese Aufklärung begonnen hatte, gar nicht nöthig war. "Aber ob-
gleich im gewöhnlichen Verlauf der Fortschritt der Reformation die
Maassrcgel und das Symptom jener fortgeschrittenen Bildung gewesen
sein würde, die der Reformation vor-aufging, so wirkte doch die
Autorität der Regierung und der Kirche in manchen Fällen als eine
störende Macht und hinderte den natürlichen Fortschritt der religiösen
Verbesserung. Und nachdem der westphälische Friede die politi-
schen Verhältnisse Europa's festgestellt hatte, legte sich die Neigung
zu theologischen Streitigkeiten so sehr, dass die Leute es nicht
mehr der Mühe werth hielten, eine religiöse Revolution anzustiften