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der
Einßuss
Religion,
tung von Kenntnissen hingeben darf. Wenn jedoch dieselbe Ge-
sellschaft dureh gewaltsame, also künstliche Mittel in der Ausübung
ihrer Intelligenz gehemmt wird, alsdann kann die Wahrheit, wie
wichtig sie auch sein möge, niemals aufgenommen werden. Denn
wie sollten gewisse Wahrheiten in einem Zeitalter verworfen und
in einem andern anerkannt werden? Die Wahrheiten bleiben die-
selben; ihre endliche Anerkennung muss daher von einer Ver-
änderung in der Gesellschaft abhängen, die jetzt annimmt, was
sie früher verachtete. Ja die Geschichte ist voll von der völligen
Machtlosigkeit selbst der edelsten Principien, wenn sie unter einer
unwissenden Nation verbreitet werden. So blieb die Doctrin von
einem Gott, die den alten Juden gelehrt wurde, viele Jahrhunderte
völlig wirkungslos. Das Volk, an das sie gerichtet wurde, war
noch nicht aus der Barbarei heraus, konnte daher seinen Geist
noch nicht zu einem so hohen Gedanken erheben. Wie alle anderen
Barbaren sehnten die Juden sich nach einer Religion, die ihren
Aberglauben fortdauernd mit Wundern nährte und statt die Gott-
heit zu einem einzigen abstracten Wesen zu erheben, ihre Götter
zu einer solchen Anzahl vermehrte, dass sie alle Fluren bedeckten
und in allen Wäldern umherschwärmten. Dies ist der Götzendienst,
die natürliche Frucht der Unwissenheit, in den die Juden unauf-
hörlich zuriiekiielen. Trotz der strengsten und unnachsichtlichsten
Strafen verliessen sie bei jeder Gelegenheit ihren Deismus, für den
ihr Geist zu sehr zurück war und stürzten sich von Neuem in den
Aberglauben, den sie leichter verstehen konnten, in die Anbetung
des goldenen Kalbes und der ehernen Schlange. Jetzt in unserem
Zeitalter haben sie lange aufgehört, so etwas zu thun. Und warum?
Nicht weil ihr religiöses Gefühl leichter erregt oder ihre religiöse
Furcht öfter aufgestachelt wird. Weit entfernt davon! Sie sind aus
ihren alten Umgebungen herausgerissen; sie haben für immer jene
Scenen aus den Augen verloren, wodurch sie hätten bewegt werden
können; sie werden nicht länger von Erscheinungen beherrscht, die
{ihr Gemüth manchmal mit Schrecken, manchmal mit Dankbarkeit
erfüllten. Sie sehen nicht langer die Rauchsäule bei Tage und die
Feuersäule bei Nacht, sehen das Gesetz nicht mehr vom Sinai ver-
kündigt und hören den Donner nicht länger vom Horeb rollen.
Unter dem Einiiuss dieser grossen Erscheinungen blieben sie Götzen-
diener in ihrem Herzen und so oft sich eine Gelegenheit bot, wur-
den sie Götzendiener in der Wirklichkeit und zwar darum, weil
sie in einer Barbarei waren, deren natürliches Product der Götzen-