Staatsregierung.
Literatur und
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ist, bis seine Vernunft es ihm sagt. Aber wenn seine Vernunft
unthätig und seine Wissenschaft im Stillstande ist, so wird die
Entdeckung nie gemacht werden. Ein Land, welches seine alte
Unwissenheit fortsetzt, wird immer bei seiner alten Religion blei-
ben; nichts kann deutlicher sein als das. Ein sehr unwissendes
Volk wird sich gerade wegen seiner Unwissenheit zu einer Religion
voller Wunder neigen, zu einer Religion, die sich einer Unzahl
Götter rühmt und Alles, was verfällt, der unmittelbaren Einwirkung
dieser Götter zuschreibt. Auf der andern Seite wird ein Volk,
dessen Wissenschaft es zu besserer Beurtheilung der Thatsachen
befähigt und welches sich an jene schwierige Aufgabe, den Zweifel
in Anwendung zu bringen, gewöhnt hat, eine weniger wunderbare
und eine weniger aufdringliche Religion brauchen, so eine, die
ihre Leichtglaubigkeit weniger stark in Anspruch nimmt. Aber
sollen wir desswegen sagen, dass die Schlcchtigkeit der ersten Re-
ligion die Unwissenheit, und die Güte der zweiten Religion die
Wissenschaft hervorbringe? Sollen wir sagen, dass ein Vorgang,
welcherfrüher kommt, die Wirkung und dass der, welcher hinter-
her kommt, die Ursache sei? So urtheilen die Leute nicht über
den gewöhnlichen Verlauf des Lebens und es ist nicht abzusehen,
warum sie über die Geschichte vergangener Begebenheiten so ur-
theilen sollten.
Die Wahrheit ist, dass die religiösen Meinungen jeder Periode
zu den Symptomen gehören, wodurch jene Periode sich auszeichnet.
Haben diese Meinungen tiefe Wurzeln geschlagen, so bestimmen
sie ohne Zweifel das Betragen der Menschen; aber ehe sie tiefe
Wurzeln schlagen können, muss eine intellectuelle Aenderung statt-
gefunden haben. Wir können eben so gut erwarten, dass Samen
auf kahlem Felsen wachsen, als dass eine milde und philosophische
Religion unter unwissenden und rohen Wilden eingeführt werden
könnte. Darin sind unzählige Versuche gemacht worden und immer
mit demselben Erfolge. Leute mit den vortrefüichsten Absichten
und voll feurigen, obwohl irrigen, Eifers haben es versucht und
versuchen es noch, ihre eigene Religion unter den Einwohnern
barbarischer Länder zu verbreiten. Durch tapfere unaufhörliche
Thätigkeit, oft durch Versprechen und manchmal sogar durch Ge-
schenke haben sie sehr oft wilde Stamme beredet, sich zur cl1rist-
liehen Religion zu bekennen. Aber wer die triumphirenden Berichte
der Missionare mit alle den Zeugnissen vergleichen Will, die wir
von urtheilsfähigen Reisenden haben, wird bald entdecken, dass