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Einfluss
der Religion,
eigenen Lande der Nachweis darüber auch nur dürftig ist. Daher
beabsichtige ich einen Ueberblick der Spanischen Geschichte zu
geben; denn in ihr können wir alle Folgen jenes Geistes des
Schutzes vor dem Irrthum, den die geistlichen Klassen immer so
eifrig gewähren, nachweisen. In Spanien hat die Kirche von sehr
früher Zeit her mehr Ansehen besessen und die Geistlichkeit mehr
Einlluss gehabt sowohl auf das Volk wie auf die Regierung als in
irgend einem andern Lande; daher wird es passend sein, die
Gesetze geistlicher Entwickelung und die Art, wie diese Entwicke-
lung die Volksinteressen berührt, in Spanien zu studiren. Ein
anderer Umstand, welcher auf den intellectuellen Fortschritt einer
Nation einwirkt, ist die Untersuchungsmethode, welche seine grössten
Geister gewöhnlich anwenden. Diese Methode kann nur eine zwei-
fache sein, entweder die inductive oder die deductive. Eine jede
von ihnen gehört einer verschiedenen Civilisation an und wird
immer von einer verschiedenen Denkweise begleitet, vornehmlich
in Religion und Wissenschaft. Diese Verschiedenheit ist von so
ausserordentlicher Wichtigkeit, dass wir nicht behaupten können,
die wirkliche Geschichte der Vergangenheit zu verstehen, bevor
wir ihre Gesetze kennen. Nun sind die beiden Extreme dieser Ver-
schiedenheit offenbar Deutschland und die Vereinigten Staaten; die
Deutschen sind vorzugsweise deducfiv, die Amerikaner inductiv.
Aber Deutschland und Amerika sind sich in mancher anderen Hin-
sieht so schroff entgegengesetzt, dass ich es für nützlich gehalten
habe, die Wirkungen des deductiven und inductiven Geistes in
Ländern zu studiren, zwischen denen eine genauere Analogie existirt;
denn je grösser die Aehnlichkeit zweier Völker ist, desto leichter
können wir die Folgen jeder einzelnen Abweichung entdecken und
desto augenscheinlichei- werden die Gesetze dieser Abweichung her-
vortreten. Eine solche Gelegenheit bietet sich in der Geschichte
von Schottland im Vergleich mit der von England. Hier haben
wir zwei Grenzvölker, welche dieselbe Sprache sprechen, dieselbe
Literatur lesen und durch dieselben Interessen verbunden sind.
Und dennoch- ist es eine Wahrheit, welche unbeachtet geblieben
zu sein scheint, die ich aber vollständig im Einzelnen nachweisen
werde, dass bis zu den letzten 30 oder 40 Jahren der Schottische
Geist sogar mehr und vollständiger deductiv gewesen ist als der
Englische inductiv. Diese Neigung des Englischen Geistes zur In-
duction und die fast abergläubischc Ehrfurcht, womit wir daran
festhalten, ist mit Bedauern von wenigen, und von sehr wenigen