Literatur und
Staatsregierung.
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und dies Auseinandergehen der beiden Klassen ist die natürliche
Folge der künstlichen Anregung, welche eine dieser Klassen vor
einem Jahrhundert erhielt und wodurch so das normale Verhältniss
der Gesellschaft gestört wurde. Desswegen haben in Deutschland
die höchsten Intelligenzen den allgemeinen Fortschritt der Nation
so weit hinter sich gelassen, dass keine Sympathie zwischen beiden
Theilen herrscht und es giebt für den Augenblick keine Mittel,
sie mit einander in Verbindung zu bringen. Ihre grossen Schrift-
steller schreiben für einander, nicht für ihr Land. Sie sind einer
ausgewählten und gelehrten Zuhörerschaft sicher und bedienen sich
einer Sprache, die in Wahrheit eine Gelehrtensprache ist. Sie ver-
wandeln ihre Muttersprache in einen Dialekt, der beredt und sehr
mächtig ist, aber so schwierig, so fein und so voll von verwickel-
ten Wendungen, dass er den niederen Klassen ihres eigenen Landes
gänzlich unverständlich ist! o) Hieraus sind einige der auffallend-
sten Eigenthürnlichkeiten der deutschen Literatur entstanden. Da
in einzelnen Fällen wirkt, und der Härten, die sie hervorbringt, siehe einen scan-
dalösen Vorfall, den Laiwg in seinen Nalcs of a traveller 1842, Seite 165, erzählt,
und über die physischen Uebcl, welche die deutsche Erziehung hervorbringt, siehe
Plzillips, On scrofula, London 1846, S. 253, 254, wo sehr guter Nachweis der Folgen
zu finden ist, "welche jene grosse Deutsche Sünde des übermässigeuRegulirens und
Regierens hervorbringt."
w) Dies wird sehr hübsch nachgewiesen von Herrn Laing, der bei Weitem de1'
geistvollste Reisende ist von allen, welche Beobachtungen über die Europäische Gesell-
schaft veröiientlicht haben: "Deutsche Schriftsteller, sowohl philosophische als poetische,
wenden sich an ein Publikum, welches viel intelligenter und viel höher gebildet ist
als unser Lesepublicum. In unserer Literatur nehmen die obscursten und abstrusesten
metaphysischen und philosophischen Schriftsteller den Geist des Publikums für weit
niedriger entwickelt, als wisse er bloss die Bedeutung der Sprache und besitze die
gewöhnliche Kraft des Urtheils. Der socialc Einfluss der Deutschen Literatur ist folg-
lich auf einen engeren Zirkel beschränkt. Sie hat keinen Einfluss auf den Geist der
niederen, nicht einmal der Mittelklassen desbürgerlichen Lebens, welche keine Ge-
legenheit oder keine Musse haben, sich zu der Höhe ihrer grossen Schriftsteller hinauf-
zuschrauben. Das lesende Publikum muss viel Zeit darauf verwenden, um die Kennt-
niss, die Gefühlsweise und die Phantasie zu erwärmen, welche nöthig sind, dem
Schriftstellerpublikum zu folgen. Der sociale Oekonom findet daher in Deutschland
die ausserordentlichste Dummheit, Geistestriigheit und Unwissenheit, wenn er unter
ein gewisses Niveau hinuntersteigt, und die ausserordentlichste intellectuelle Entwicke-
lung, Gelehrsamkeit und Genie über diesem Niveau." Lwiny, Noies Qf ü ÜYWWFY,
ßrst series, 266, 267. Derselbe scharfe Beobachter sagt in einem späteren Werke,
Notes, third sca-ies, p. 12: „Die beidenKlassen sprechen und denken in verschiedenen
Sprachen, die gebildete Deutsche Sprache, die Sprache der Deutschen Literatur ist
nicht die Sprache des gemeinen Mannes, nicht einmal des Mannes, der schon hoch