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Einfluss
der
Religiülh
Hauptquartier der Philosophie und Wissenschaft gewesen ist. Hier-
aus sind einige sehr wichtige Umstände entsprungen, welche ich
hier nur kurz andeuten kann. Der Deutsche Geist, durch den
Französischen zu einem plötzlichen Wachsthum angeregt, hat sich
unregehnässig entwickelt und in eine Thätigläeit gestürzt, welche
grösser ist als die durchschnittliche Oivilisation des Landes es er-
fordert. Die Folge davon ist, dass wir in keiner Nation in Eiuopa
eine so weite Kluft zwischen den höchsten und niedrigsten Geistern
vorfinden. Die Deutschen Philosophen besitzen eine Gelehrsamkeit
und einen Gedankenflug, wodurch sie an die Spitze der civili-
sirten Welt treten; das Deutsche Volk hingegen ist mehr von Aber-
glauben, mehr von Vorurtheilen beherrscht, und ungeachtet der
Sorge, welche die Regierungen für seine Erziehung tragen, in
Wahrheit unwissender und unfahiger, sich selbst zu beherrschen,
als die Einwohner von Frankreich und Englandß) Diese Trennung
sprache zu wenig cultivirt worden, anderen Theils wurden diese Schriften auch meistens
nur von Gelehrten, für welche sie auch hauptsächlich bestimmt waren, gelesen. Gegen
die Mitte des 18. Jahrhunderts, als mehrere Engl. und Franz. Werke gelesen und
übersetzt wurden und durch die Vorliebe des Königs von Preussen, Friedrich's 11., der
von Franzosen gebildet worden war, Franz. Gelehrte besonders geehrt und angestellt
wurden, entstand ein Wetteifer der Deutschen, auch in dem schriftlichen Vortrage
nicht zuriickzubleiben und die Sprache erhob sich bald zu einem hohen Grade von
Vollkommenheit." Tennemamn, Gesoh. der Philos. XI, 286, 287.
9) Eine populäre Uebersicht des Systems der Nationalerziehung in Deutschland
findet sich in Kay, Social czmdition zmd edmmtion of tlze people in Europe II, l--344.
Aber Herr Kay überschätzt, wie die meisten Gelehrten, die Vortheile gelehrter Bildung
und unterschätzt die Ausbildung von Eigenschaften, welche weder Bücher noch Schulen
einem Volke mittheilen können, das von der Ausübung seiner bürgerlichen und politi-
schen Rechte ausgeschlossen ist. In der Geschichte des bevormundenden Geistes (pro-
tectif spirii), Kap. IX. und X. dieses Bandes, werde ich auf diesen Gegenstand zurück-
kommen und zwar in Hinsicht auf Frankreich; im nächsten Bande will ich ihn dann
hinsichtlich der Deutschen Oivilisation erörtern. Unterdessen muss es mir erlaubt sein,
gegen den Bericht, welchen Herr Kay von den Erfolgen der Zwangserziehung gegeben
hat, zu protestiren. Es ist ein angenehmes Bild, von einem liebenswürdigen und in-
telligenten Schriftsteller entworfen, aber ich besitze entschiedene Beweise von seiner
Ungenauigkeit. Hier will ich mich nur auf zwei Punkte beziehen: erstens die noto-
rische Thatsache, dass das Deutsche Volk, ungeachtet seiner sogenannten Erziehung,
unfähig ist an politischen Dingen Theil zu nehmen und sich für die praktischen
und administrativen Theile der Regierung unfähig zeigt; zweitens die Thatsache, Welche
eben so notorisch ist für Alle, welche den Gegenstand studirt haben, dass in dem
besterzogenen Theil von Deutschland, in Preussen, mehr Aberglauben herrscht als in
England und dass die Hartnäckigkeit, womit die Leute diesen Aberglauben festhalten,
in Preussen grösser ist als in England. Zur Erläuterung, wie die Zwangserziehung