Literatur
und Staatsregierung.
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einzig aus diesem Grunde unsere Geschichte für wichtiger als ihre
und wähle die Englische Geschichte, um daran den Fortschritt
der Civilisation näher zu studiren, nur weil sie weniger von Ein-
Wirkungen, die nicht aus ihr selber entspringen, bestimmt wird
und wir also in ihr um so deutlicher den normalen Gang der Ge-
sellschaft und die ungestörte Wirkung der grossen Gesetze, von
denen schliesslich das Schicksal der Menschheit bestimmt wird,
erkennen können.
Nach dieser Vergleichung der Französischen und Englischen
Geschichte scheint es kaum nüthig, die Ansprüche, welche für die
Geschichte anderer Länder noch erhoben werden könnten, vorzu-
bringen. Es giebt in der That nur zwei, zu deren Gunsten irgend
etwas gesagt werden kann, Deutschland und die Vereinigten Staaten
von Nordamerika. Die Deutschen, das ist ohne Zweifel richtig,
haben seit der Mitte des 18. Jahrhunderts eine grössere Anzahl
tiefer Denker als irgend ein anderes Land, ich könnte vielleicht
sagen als alle anderen Länder zusammengenommen, hervorge-
bracht. Aber die Einwürfe, Welche die Franzosen treffen, treffen
die Deutschen noch mehr. Denn das Princip des Schutzes oder
der Bevormundung ist in Deutschland noch stärker als in Frank-
reich. Selbst die besten deutschen Regierungen mischen sich be-
ständig in die Angelegenheiten des Volks, überlassen es nie sich
selbst, kümmern sich immer um seine Interessen und mischen sich
in die gemeinsten Angelegenheiten des täglichen Lebens. Ausser-
dem verdankt die Deutsche Literatur, obgleich jetzt. die erste in
Europa, ihren Ursprung, wie wir später sehen werden, jener grossen
skeptischen Bewegung, welche in Frankreich der Revolution v_or-
herging. Vor der Mitte des 18. Jahrhunderts hatten die Deutschen,
ungeachtet einiger ausgezeichneter Namen, wie Keppler und Leib-
nitz, keine Literatur von wirklichem Werthe und der erste Anstoss,
welchen sie erhielten, wurde durch ihre Berührung mit dem Französi-
schen Geiste gegeben und durch den Einfluss der ausgezeichneten
Franzosen, welche unter der Regierung Friedrichs des Grossen sich
in Berlin B) versammelten, einer Stadt, Welche seitdem immer das
s) Die Geschichte (lieser merkwürdigen, obgleich kurzen Vereinigung Franz. und
Deutscher Geister wird im nächsten Bande aufgezeichnet werden; aber ihre erste grosse
Wirkung in der Anregung oder Vielmehr Schöpfung der Deutschen Literatur wird von
einem der gelehrtesten ihrer eigenen Schriftsteller hervorgehoben: "Denn eines Theils
war zu diesen Gegenständen immer die lateinische Sprache gebraucht und die Mutter-