Literatur und
Staatsregierung.
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ohne je einen Fremden gesehen zu haben, ausser etwa einen lang-
weiligen pomphaften Gesandten auf seiner Spazierfahrt am Ufer
der Themse. Und obgleich es oft wiederholt worden ist, dass nach
der Restauration Karls II. unser Nationalcharalzter nach und nach
stark unter den Einfluss des Französischen Vorbildes getreten seif)
so beschränkte sich dies doch, wie ich vollständig beweisen werde,
auf den geringen und unbedeutenden Theil der Gesellschaft, der
mit dem Hofe zusammenhing, und brachte keinen merklichen Ein--
druck auf die zwei wichtigen Klassen, die intellectuelle und die
industrielle, hervor. Freilich lässt sich die Bewegung in dem werth-
losesten Theil unserer Literatur, in den schamlosen Productionen
eines Buckingham, Dorset, Etherege, Killigrew, Mulgrave, Rochester
und Sedley wiederfinden. Aber weder damals noch zu einer viel.
späteren Zeit standen irgend welche von unsern grossen Denkern
unter dem Einfluss des französischen Geistesf) wir finden im
Gegentheil in ihren Ideen und selbst in ihrem Styl eine gewisse
rohe einheimische Kraft, die unsern feineren Nachbarn zwar un-
angenehm ist, aber wenigstens das Verdienst hat, ein heimisches
Produet unseres Vaterlandes zu seinß) Die Entstehung und Aus-
dehnung der Verbindung Französischer und Englischer Geister, die
4) Ormds Lzfe of Owen 288. Malwrfs Hist. of England II, 211, und manche
andere Schriftsteller.
5) Der einzige Engländer von Geist, der während dieser Periode von dem Französi-
schen Geist einen Einfluss erfuhr, war Dryden; aber dies zeigt sich besonders in
seinen Schauspielen, die nun alle mit einander verdientermaassen vergessen sind.
Seine grossen Werke und vor allem seine bewundernswürdigen Satyren, in denen er
alle Mitbewerber ausser Juvenal übertrifft, sind durch und durch national und können
als blosses Muster des Englischen, wenn ich ein Urtheil aussprechen darf, unmittelbar
hinter Shakespeare genannt werden. In Dryden's Schriften sind ohne Frage manche
Gallicismen im Ausdruck, aber wenig Gallicismen im Gedanken, und nach dem letzte-
ren müssen wir den wirklichen fremden Einiiuss bemessen. Walther Scott geht so
weit, dass er sag-t: „Es ist die Frage, ob ein einziges Französisches Wort auf die
blosse Autorität Dryden's bei uns eingebürgert ist." Scott's Life of Drydßw 523-
Das ist aber doch eine starke Behauptung. Fox' Ansicht siehe in Lord Hollandäs Vor-
rede zu F029 James II, 4to, 1808, p. XXXII.
6) Ein anderer Umstand, welcher die Unabhängigkeit unserer Literatur aufrecht
erhalten und darum ihren Werth erhöht hat, ist, dass in keinem Lande die Gelehrten
so wenig mit der Regierung zu thun gehabt haben oder von ihr bezahlt worden sind.
Dass dies die richtige Politik ist und dass der Schutz der Literatur ihr nur schädlich
wird, sind Sätze, deren Beweis ich ins XI. Kap. dieses Bandes, wo über Ludwig's XIV.
System gehandelt wird, verweisen muss. Mittlerweile führe ich folgende Worte aus
einem gelehrten und was viel mehr sagen will, einem denkenden Schriftsteller an: