106
Einfluss der
Naturgesetze.
wird die Phantasie aufgeregt und der Glaube an übernatürliche
Einwirkung mächtig unterstützt. Wo menschliche Macht fehlt, wird
übermensehliehe zu Hülfe gerufen; an die Gegenwart des Geheim-
nissvollen und Unsichtbaren wird geglaubt, und unter dem Volke
gedeihen jene Gefühle von Furcht und Hültlosigkeit, worauf sich
aller Aberglaube gründet und ohne die er sich nicht halten kannJ 9 3)
Weitere Beispiele hierzu finden sich sogar in Europa, WO solche
Erscheinungen verhältnissmässig selten sind. Erdbeben und vul-
kanische Ausbrüche sind in Italien und der Spanisch-Portugiesi-
schen Halbinsel häufiger und verwüstender, als in irgend einem
anderen grossen Lande Europas; und gerade dort ist der Aber-
glaube am meisten im Schwange und sind die abergläubischen
Klassen am mächtigsten. Dies waren die Länder, wo die Priester
zuerst ihre Autorität etablirten, wo die ärgste Verderbniss des
Christenthums stattfand und wo der Aberglaube am längsten ge-
sichert gewesen. Hierzu kommt noch ein anderer Umstand, der
auf den Zusammenhang dieser Naturerscheinungen und einer vor-
herrschenden Phantasie hindeutet. Im Allgemeinen sind die schönen
Künste mehr ein Gegenstand der Phantasie, die Wissenschaften
des Verstandesli") Nun ist es bemerkenswerth, dass Italien und
Spanien die grössten Maler und fast alle die grössten Bildhauer,
die das neue Europa besessen hat, hervorgebracht. In der Wissen-
schaft hat Italien ohne Zweifel einige ausgezeichnete Männer her-
vorgebracht; ihre Zahl ist aber unverhältnissmässig klein im Ver-
gleich zu seinen Künstlern und Dichtern. Die Literatur von Spa-
nien und Portugal ist vorzugsweise poetisch und aus ihren Schulen
sind einige der grössten Maler der Welt hervorgegangen. Dagegen
ist die Kraft der reinen Vernunft vernachlässigt worden und die
ganze Halbinsel giebt von den frühesten Zeiten bis auf den heu-
tigen Tag in der Geschichte der Naturwissenschaften nicht einen
einzigen Namen von ausgezeichneter Bedeutung her, nicht einen
193) Die Beförderung des Aberglaubens durch die Erdbeben wird berührt in LyelPs
vortreffi. Werk Prinmples of yeology 492. Vergl. eine Mythe über den Ursprung der
Erdbeben bei Bequxobre, Histoire critique de Manichäe 1, 243,
494) Die grössten Männer der Wissenschaft und alle grossen Männer sind ohne
Zweifel mit ausgezeichneter Phantasie begabt gewesen. Aber in der Kunst spielt sie
eine viel bedeutendere Rolle als in der Wissenschaft; dies will ich im Text sagen.
Dav. Brewster (Lzfe of Newton 1855, II, 133) denkt, Newton habe eine mangelhafte
Phantasie gehabt. Nachv meiner Ansicht hatte kein Dichter, ausser Dante und Shake-
speare, eine erhabenere und kühnere Phantasie als Newton,