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der Naturgesetze.
Einfluss
Unergründlichen und bemüht sich kaum noch um das Einzelne,
woraus jene erhabene Grösse besteht! H) Wo hingegen die Werke
der Natur klein und schwach sind, gewinnt der Mensch Vertrauen,
scheint sich mehr auf seine eigene Kraft zu verlassen, denn er
kann sich so zu sagen hindureharbeiten und nach allen Richtungen
seine Obmacht ausüben. Wie die Erscheinungen zugänglicher wer-
den, wird es ihm leichter, mit ihnen zu experimentiren oder sie
mit Genauigkeit zu beobachten; ein untersuchender analysirender
Geist wird ermuthigt und er fühlt sich versucht, die Erscheinungen.
der Natur zu verallgemeinern und sie auf die Gesetze zu ziehen,
durch die sie regiert werden.
Wenn wir den Geist auf diese Weise von den Naturersehei-
nungen ergriffen sehen, so ist es gewiss bemerkenswerth, dass alle
grossen ursprünglichen Kulturländer innerhalb der Wendekreise oder
in ihrer unmittelbaren N ähe liegen, wo diese Erscheinungen unge-
mein erhaben und schrecklich sind und wo die Natur dem Men-
sehen in jeder Hinsicht höchst gefährlich ist. In Asien, Afrika
und Amerika ist in der That die Aussenwelt im Allgemeinen furcht-
barer als in Europa. Dies gilt nicht nur von den festen und be-
ständigen Erscheinungen, wie von Bergen und anderen grossen
Naturgrenzen, sondern auch von gelegentlichen Erscheinungen, wie
Erdbeben, Stürmen, Orkanen und Pestarten; alles dies ist in jenen
Gegenden sehr gewöhnlich und sehr verderblich. Diese dauernden
und ernsthaften Gefahren bringen ähnliche Wirkungen hervor als
die Erhabenheit der Natur, sofern in beiden Fällen die Thatigkeit
der Phantasie gesteigert werden wird. Es ist. eigenthümlich für
die Phantasie, sich mit dem Unbekannten zu beschäftigen; daher
wird jedes unerklärte und wichtige Ereigniss unmittelbar ein An-
trieb für sie. Einige Erläuterungen über die Wirkung dieses Prin-
cips werden es dem Leser deutlicher machen und ihn auf die
488) Das Gefühl der Furcht wird selbst wo keine Gefahr ist stark genug, um das
Vergnügen, das man sonst fühlen würde, bei Seite zu setzen. S. z. B. eine Beschrei-
bung der grossen Gebirgsgrenze von Hindostan, Asiat. rcsearclzcs XI, 469: "Man muss
sich erst in unsere Lage versetzen, ehe man einen richtigen Begriff von der Scene
gewinnen kann. Die Tiefe des Thalcs unter uns, die allmählige Erhebung der Zwi-
sehenhöhen und der majestätische Glanz des wolkengekrönten Himalaya bildeten ein
so erhabenes Gemälde, dass wir eher von dem Gefühle der Furcht als der Befriedigung
ergriffen wurden." Vergl. XIV, 116, Calcutta. 1822. In Tyrol hat man bemerkt, dass
die grossartigen Gebirgsgegenden die Bewohner mit Furcht erfüllen und die Erfindung
von allerlei Mährchen verursacht haben. Alisnnäv Europa. IX, 79, 80.