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Buch.
VII.
Die
Architektul
de
Gegenwart.
Schinkellschen Epigonen, welche leider da, wo der schönste Haustein
S0 leicht zu beziehen war, die Berliner Gips- und Cementsurrogate
in unverantwortliche Aufnahme brachte, doch vermochte diese Tendenz
sich dem Eindringen der entschiedenen Renaissance gegenüber nicht
Stand zu halten. Die Gegenwart beseitigte auch die Inclination zum
westlichen Nachbar, und Italien, vorab Oberitalien wurde zur über-
wiegenden Fundgrube für das Studium der jüngeren Generation.
In dieser aber ragt A. Gizuutlz als das unzweifelhaft begabteste
Haupt hervor, gründlich geschult aber auch ausgestattet mit bedeu-
tender architektonischer wie malerischer Phantasie, wie er schon in
seinem ersten grösseren Werke, der Villa Siegle in Stuttgart bewiesen
hat, die mit der aVillaa des Königs bei Berg verglichen den voll-
zogenen Uebergang von der classicistischen Richtung zur Renaissance
deutlich zeigt. Freilich drängte gerade die malerische Tendenz den
Künstler zu Goncessionen an das Barocke, die jedoch zu billigen
sind, so lange sie in der kraftvollen und decorativ gemiissigten Weise
der stattlichen vWürttembergischen Vereinsbankc auftreten, und sich
der Surrogate für Steinbau enthalten. Geschieht diess aber auch
nicht, so kann man sich damit beruhigen, dass die Weitverbreitete
Erscheinung allgemein lediglich den Charakter der Mode trägt, und
sonach zu hoffen steht, dass sie sich wie a.lle Mode nicht zu lange
behaupten wird.
In dem ungewöhnlich reichen Architekturleben Deutschlands in
der unmittelbaren Gegenwart, an welchem ausser den genannten
Städten besonders noch Dresden und Garlsruhe Antheil nehmen,
ist daher nur zu beklagen, dass fast allenthalben die malerische
Tendenz der Zeit dem Materiale nicht überall Rechnung trägt, und
namentlich da, wo Haustein schwer zu erlangen, Backstein und
Terracotta nicht zu selbständiger Geltung zu erheben erlaubt. Es
greift dadurch jene Lügenhaftigkeit und Unsolidität in der Architektur
Platz, welche in den starken in Surrogaten hergestellten Prominenzen
durch Materialmissbrauch styllos und darum nicht selten unerfreulich
wirkt, jene Scheinarchitektur der Verputzarbeit, welcher das orga-
nische Element zumeist fehlt.