Sechstes
Capitel.
Die
neueste
Plastik.
Es musste in den drei letzten Capiteln constatirt werden, dass
die deutsche Malerei der Gegenwart ihre mannigfaltigen Impulse von
Aussen, nemlich von Frankreich und Belgien empfangen habe. Eine
solche Abhängigkeit, wie sie im Gebiete der Malerei Regel, herrscht
im Reiche des Meissels nur ausnahmsweise. Die Bildnerei der roma-
nischen Völker ist in der Hauptsache einen anderen Weg gegangen
als die der Deutschen, und zwar, wie man behaupten darf, einen
minder glücklichen und dem Wesen dieser Kunst oder den Anforde-
rungen der Zeit minder gemässen, als ihn die Deutschen schon mit
Rauch gefunden und in der Hauptsache bis auf die unmittelbare
Gegenwart herab verfolgt haben.
Italien, welches seit dem Beginn unserer Zeitrechnung in
vielen Jahrhunderten der Mittelpunkt aller Bildhauerei der Welt ge-
Wesen, wird jetzt nur mehr in untergeordneter Hinsicht als muster-
giltig auftreten können, nemlich in Bezug auf Marmortechnik und
formale Vollendung. Der Sinn für das Monumentale, für wahre
Grösse und innere Bedeutung ist dem Vaterlande Buonarottfs in
dieser Kunst unleugbar abhanden gekommen, um überwiegend tech-
nischem Raffinement Platz zu machen. Verfasser dieses erinnert
sich nicht, in Mailand, Florenz oder Rom, wo der Bildnerei über-
haupt noch öffentliche Aufgaben gestellt worden sind, Werke aus
der neueren Zeit gesehen zu haben, welche mit den Monumental-