Volltext: Geschichte der neueren deutschen Kunst vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis zur Wiener Ausstellung 1873

sich erhebt und vielmehr nach H. Vernefs Vorgang zumeist den 
TPOLIPIGF in seinen Leiden und Freuden, in seinen Kämpfen und 
'l'riumphen zu seinem Gegenstande nimmt, wie überhaupt die decen- 
tralisirende Tendenz der modernen Kunst die Historienmalerei in 
Episoden- und Zustandsdarstellungen auflöst und durcheinander wir- 
belt. Uebrigens hat auch das eigentliche Genre, Welchem von der 
ganzen vorausgegangenen Entwicklung der beste Theil des Erbes in 
den Schooss gefallen, sein Gebiet unendlich erweitert und das ganze 
menschliche Leben von den frühesten Zeiten bis zur unmittelbarsten 
Ciegenwart, wie auch  und das hat sie mit der modernen Land- 
schaft gemein  aller Zonen -in sein Bereich gezogen. Neu war die 
Heranziehung des Alterthums, das bisher nur der höheren Historien- 
lnalerei die Stoffe geliefert, nach der Seite des Sittenhildes, und 
J. L. Gärome, geb. 1824, darf als der Begründer dieser Gattung 
bezeichnet werden. Es kann jedoch nicht verschwiegen werden, 
dass trotz aller coloristischen und formalen Vollendung, trotz der 
archäologischen Treue und Gewissenhaftigkeit und trotz der sauberen 
Sorgfalt, welcher sich dieser wie seine Nacheiferer befleissigten, doch 
Ivorwiegend der wollüstige Inhalt, zumeist in anscheinend naiver 
Form, es gewesen ist, welcher dieser Klasse des Genre seine an- 
haltende Beliebtheit sicherte. Man denke nur an Geromes Phryne 
vor den Richtern, Gemahlin des Kandaules, Kleopatra vor Cäsar, 
Alkibiades bei der Aspasia oder geradezu des Lupanar's, und man 
wird schon aus den gewählten Stoffen über die Absicht des Künst- 
lers nicht in Zweifel sein können. Eine vortheilhafte Ausnahme 
hierin bildet L. Hamon, dessen anmuthige Idyllen sich zum Genre Ge- 
romes verhalten, wie Theokrit zu Ovid. 
Wie Gerome mit mehren Richtungsverwandten aus der Schule 
Delaroches hervorgegangen, so lehnt sich das Genre aus der fran- 
zösischen Geschichte an Robert-Fleury an. Die ereigniss- und costüm- 
reiche Zeit um 1600 liefert die hervorragendsten Stoffe, bei welchen 
das archäologische Moment mit gediegener und glänzender Coloristik, 
letztere manchmal bis zu schaler Effekthascherei gesteigert, den In- 
halt, wenn ein solcher überhaupt angestrebt wird, gewöhnlich auf- 
zehrt. Ist dies auch bei dem bedeutendsten Meister dieser Gattung, 
Ch. Oomte, geb. 1815, nicht in dem Maasse der Fall, wie bei seinen. 
Fachgenossen, so ist auch bei ihm unverkennbar, dass ihm der 
Hauptwerth darin liege, seine Gestalten in ihre architektonische und
	        
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