Volltext: Geschichte der neueren deutschen Kunst vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis zur Wiener Ausstellung 1873

das Behagen in dieser Richtung nicht blos ästhetischer Natur war, 
sondern durch die socialistische Bewegung und den seit 1848 fort- 
geschrittenen Aufschwung des vierten Standes seine Nahrung empfing, 
ist so unzweifelhaft, wie die ganze Erscheinung des Hauptvertreters 
jener Kunstrichtung, G. Courbefs (geb. 1819) für (iieSeS VerhäliniSS 
bezeichnend ist. Der Meister von Ornans hatte in seinem Mähd- 
iichen Begräbnisse, den sS-teinklopfernc, den sBauern von Flageyc, 
den sbadenden Weiberna, den xKornsieberinnenc u. s. w. eine neue 
Welt erschlossen: frei von Leidenschaft und romantischer Anem- 
piindung sollten sie sich selbst in ihrer unmittelbaren Wahrheit geben 
und den Beweiss erbringen, dass auch diese Classe ins Reich der 
Kunst gehöre und zwar ohne ins Komische gezogen oder sentimental 
idealisirt zu werden. Die realistischen Bestrebungen seit Gericatilt 
hatten immer noch der künstlerischen Schönheit in Form, Farbe 
und Ausdruck Rechnung getragen, bei Courbet finden wir nur mehr 
die Wahrheit der Erscheinung und d'en entschieden falschen Wahn, 
dass dieselbe die Schönheit involvire. Diess konnte noch am ehesten 
bei den Landschaften oder Jagdbildern Courbefs eintreten, da die 
vegetabilische Natur wie die des Wildes jene Trübung der normalen 
Erscheinung, die wir Hässlichkeit nennen, weniger zu befahren hat, 
als wir sie beim Menschen finden oder erkennen. Das Streben 
Courbefs aber würde als in der Kunst principwvidrig wirkungslos 
gescheitert sein, wenn es nicht von einer ausserordentlichen techni- 
schen Begabung getragen gewesen wäre. Denn seine Sicherheit im 
"freffen des naturwahren Tones, den er in allen Abstufungen in 
voller Bestimmtheit und ohne alle nachhelfenden Mittel mit breitem 
Pinsel pastos auf die Leinwand zu setzen weiss, überbot alle Vor- 
gänger und berechtigt einigermassen zu den von ihm gewählten 
Stoffen, mit welchem die kecke und derbe Weise seines Auftrags 
im harmonischen Einklang steht. Sie ist auch so rationell und 
prosaisch wie die gemeine Wirklichkeit des Dargestellten selbst, welche 
ohne den jeder Kunst nothwendigen Weg durch die Phantasie ge- 
macht zu haben, unmittelbar auf die Leinwand übertragen zu sein 
scheint. 
Courbefs Kunst unterscheidet sich nur durch die Grösse seiner 
Figtwen von dem Genre, in welchem Gebiet sich die Mehrzahl 
seiner Nacheiferer bewegte. Auf der Grenze zum Genre befindet 
sich auch das Soldatenbild, das nur selten zum historischen Gemälde
	        
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