Die
D resdener
Schule.
A. Rietschel.
531
im Entwurf über ihn gesiegt Wie der Künstler schon im Lessing
tlen antikisirenden Mantel fallen gelassen, so wagte er es auch hier,
die der Bildnerei nicht ungünstige Tracht vom Ende des 18. Jahr-
hunderts unverhüllt zur Schau zu stellen, ohne dabei irgend etwas
von dem classischen Adel seines Lehrers preiszugeben. Es kann
nicht geleugnet werden, dass die Gruppe durch Schönheit des Auf-
baues und Linienflusses, durch packende Wahrheit trotz aller classi-
sehen Veredlung der Formen, durch Ausdruck und Grossheit zu den
allerersten Meisterwerken unseres Jahrhunderts gerechnet werden
muss. Dass diess nicht auch von dem folgenden Hauptwerk seiner
bildnissstatuztrisehen Thätigkeit, dem umfänglichen "Wormser Refor-
mationsdenkmal gesagt werden kann, dürfte in der architektonischen
Verzettelung desselben beruhen. Denn die Gestalt des grossen Re-
formators selbst ist in jedem Betracht imposant und gelungen, eben-
so die Mehrzahl der Laien- und Priester-Vertreter des Reformations-
werkes wie der Städteallegorien, aber die unglückliche Idee der
Anspielung auf aUnsere feste Burg . .4 hat die Versammlung
zu einem Aggregat zersplittert, welchem die monumentale Einheit
trotz der Zinnenkranzverbindung fehlt, und der wechselseitige Bezug
erst aufgedrungen werden muss. Es mochte wohl während dieser
ernsten Arbeit dem Meister eine Erholung gewesen sein, im leichten
Spiel allegorischer Darstellungen auf classischem Boden sich zu
bewegen, und ausser dem reichen Fries- und anderem Schmuck des
Museums zu Dresden die reizvollen Medaillons der Tageszeiten und
Erusgruppen zu schaffen, welche neben den strengen Bildungen
'l'horivaldsenls so lebensfrisch und -fr0h erscheinen. Auch der Gie-
belschniuck des Berliner Opernhauses reiht sich würdig an den
Tieek'schen des dortigen Schauspielhauses. Um aber in stupenflel"
Weise an Allseitigkeit nichts zu wünschen übrig zu lassen, stellte
sein Meissel auch im Gebiet der christlichenKunst ausser manchem
anderen it's) in der herrlichen Pieta der Vorhalle der Friedenskirche
3') Bauch hatte die Gruppe im antiken Gewand entworfen. (Abbildung im
deutschen Kunstbl. 1855.)
M) Im Rietschelmuseum des k. Palais im Grossen Garten bei Dresden in
Abgüssen zusammengestellt. Der Verfasser möchte bei dieser Gelegenheit (11„
Frage stellen, warum der Zutritt zu dieser wichtigen und dem künstlerischen
Beschauer so nützlichen Sammlung dllfch gewirnsüclitige Bedingungen dem
minder Bemittelten so sehr erschwert ist?