kann nun keinem Zweifel unterliegen, dass Kaulbaeh in Hinsicht auf
formale Schönheit seinem Lehrer überlegen war, und ihr bis zu dem
Grade huldigte, dass er, wenn ZWlSClIOII formaler und innerer nament-
lich ethischer Schönheit zu wählen War, lieber die letztere als die
erstere preisgab. Wie jenem die Psyche, so waren Kaulbach
die Grazien unbedingt und selbst bis zum Missbrauch hold. Die
strenge und fast ascetische Weise, die Cornelius keusche Kunst
von seinen römischen Anfängen an beherrschte, und welche den
Berlinern als knöchern und hartgesottenes Muskelwerk erschien,
bildete daher zu dem Kaulbaclfschen Gult des Fleisches in seiner
blühendsten Schönheit bis zum verführerisch Sinnlichen einen Con-
trast, den nlan sich kaum grösser denken kann. Aber nicht blos
die Sinne wurden überwältigt, auch der Geist erhielt seinen reichen
Anthcil. Freier als Cornelius der Offenbarung Dichtung und Tradi-
tion gegenüber sein konnte, gestaltete Kaulbaclfs Phantasie die Ent-
würfe, unterstützt von einer Belesenheit und von einer Kenntniss
des Beiwerks, welche ihn als einen der fleissigsten Männer der ganzen
Kunstgeschichte doppelt schatzenstirerth macht. lform- und Schaffens-
freude verbanden sich in ihm zu einer harmonischen 'l'h5itigkeit,
welche auch der materiellen 'l'riebfedern nicht bedurft hätte, um
Herrliches zu schaffen. Und wer die Wirkung der letzteren auf den
Meister (vielleicht nicht ohne Neid) nicht entschuldigen kann, der
hat es nie nöthig gehabt oder versucht oder ermöglicht, sich aus
dem Dunkel von Armuth und Drangsal zu äusserenl Glücke zu
erschwingen.
Ob der grossartige Auftrag durch die schon erwähnte Aeusse-
rung Raczynskfs veranlasst worden, oder 0b er aus dem Wunsche
des Königs von Preussen, die vZerstörung von Jerusalelne zu besitzen,
entsprungen sei, oder ob beides zusammengeivirkt, wird nicht mehr
zu sichern sein; gewiss ist, dass Kaulbaczh dem Wunsche des Königs
gegenüber erklärte, dass er lieber wieder etwas Neues herstellen
Würde, statt das Jerusalemsbild zu wiederholen. Es sollte beides
geschehen. Die grossen welthistorischen Ereignisse, welche der vFall
Jerusalemsa als das Ende des alten Bundes, und die vHunnenschlaChts
als ein Akt der Völkerwanderung und des Unterganges des Rönierthums
darstellte, leiteten von selbst auf den Gedanken von culturgesehicht-
liehen Epoehenbildern. Das Programm war nicht von vorneherein end-
gültig fßStgestellt, und wenn auch ausser der Wiederholung der beiden