Volltext: Geschichte der neueren deutschen Kunst vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis zur Wiener Ausstellung 1873

durch den Reichthuin der Erfindung und die keineswegs tadelns- 
werthe Mitte zwischen rein historischem Vortrag und idealer Alle- 
gorie. Es sollte nicht eine historische Scene, sondern ein welt- 
geschichtlicher Vorgang, nicht ein momentanes Ereigniss, sondern 
eine Darstellung der hier zum endlichen Gonflict gekommenen Gegen- 
sätze, eines epochemachenden Abschnittes mit seinen hauptsächlichen 
Consequenzen sein. Das rein Historische ist daher mehr in den 
Hintergrund gedrängt, einerseits das einziehende Römerheer mit dem 
Imperator an der Spitze, anderseits der brennende Tempel mit den 
trotzenden israelitischen Führern. Titus erscheint nur als das Organ 
der himmlischen in der Glorie über dem Vorgange schwebenden 
Bilüchte, unter deren Auspizien sich die Verheissung Christi von der 
Zerstörung vollzieht. In der Mitte erscheint das Ende des alten 
Bundes in der Besitzergreifung des Opferaltars durch die Feinde und 
in der Person des Hohenpriesters, welcher, nachdem er die Seinigen 
getödtet, den Dolch gegen das eigene Herz zückt, wie der verzwei- 
felnde Scorpion im Flammenring seinen eigenen Stachel sich in die 
Brust bohrt. Der Gedanke ist dadurch in ächt bildnerisch-künst- 
lerischer Weise concret gemacht und die Allegorie durch das Haschen 
der Sieger nach den händeringenden Töchtern Juda's, die der Hohe- 
priester noch verschont. hatte, noch mehr in das Gebiet der Realität 
gezogen. Auch sonst finden sich zahlreiche Bezüge: das durch die 
Erfüllung der Verheissung siegreiche Ghristenthum z. B. wird in der 
ausziehenden Christengruppe zur Rechten und das über die Erde zer- 
streute Judenthum durch den enteilenden Ahasveros in der linken 
Ecke repräsentirt. So ist die Composition sinnig und gross gedacht, 
trotz der grösseren Symmetrie der Anordnung aber kaum von dem 
Gleichgewicht der Hunnenschlacht, auch nicht von der zwingenden 
Goncentration derselben; fühlbar zerfallt vielmehr das Ganze in ein- 
zelne Gruppen und es tritt dadurch das Künstliche und darum Lose 
der Verknüpfung Zu einem Werke noch auffälliger entgegen. Was 
aber noch mehr: der ideelle Zusammenhang und Gehalt wirkt nicht 
glaubhaft: es war dem Künstler nicht Ernst mit der himmlischen 
Vision wie mit der Frömmigkeit der abziehenden Christen, und so 
besteht die erste aus leeren Schemen, während die letzteren Griechen 
sind mit angenommenen christlichen Mienen, zu denen taufeheischende 
Ilioneuse die Hände erheben, so dass trotz der wunderbaren com- 
positionellen und Formenschönheit dieser Gruppe doch der mit ihr
	        
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