Architektl
in
Italien
und
Frankreich.
Draperien und Giebelschnörkel, überhaupt jener alle architektonischen
Principien verhöhnende Rausch, wie er nun mehr als ein Jahrhundert
die Architektur beherrschte und durch Borromini, Ber-ninfs jüngeren
Zeitgenossen, noch höher gesteigert ward, förmlich canonisirt. Die
Architektur war dadurch zu einem frivolen Spiel mit den traditio-
nellen Formen geworden, denen man die tollsten Verbindungen auf-
zwang, indem gerade das am genialsten erschien, was dem gesunden
Sinne am meisten entgegen war.
Je nachdem nun die von Italien ausgehenden Impulse verschie-
denartig und zu verschiedenen Zeiten auf die übrigen europäischen
Culturländer einwirkten, vollzog sich auch die Entwicklung der
Renaissance-Architektur in denselben mannigfach. Fast allenthalben
zwar hatte man nördlich von den Alpen mit der Aufnahme der-
selben gezögert, bis der Styl in Italien in aufwärts steigender Linie
zur Vollendung (Hochrenaissance) gediehen, und war inzwischen noch
ganz bei der mittelalterlichen Architektur geblieben, während sich
Malerei und Plastik etwas früher der neuen Sonne zugewandt hatten:
in ähnlicher Weise wie einige Jahrhunderte vorher Italien die Gothik
nur zögernd von den germanischen Völkern angenommen hatte.
Dann aber ergriffen einige Nationen den neuen Styl mit grösserer
Lebhaftigkeit und Hingebung als andere, indem sie sich der mittel-
alterlichen Tradition gründlicher zu entschlagen wussten, während
andere noch ein halbes Jahrhundert in einem Zustande des Schwan-
kens verharrten, welcher nur die iiusserliche und stückweise Auf-
nahme der neuen Elemente zu verstatten schien.
Wie in der Plastik, so war auch in der Architektur Frankreich
als der früheste Erbe Italiens von Bedeutung eingetreten. Die fran-
zösische Frührenaissance des 1B. Jahrhunderts gestaltete sich jedoch
anfangs ziemlich selbständig dadurch, dass sie gewisse mittelalterliche
Elemente festhielt, wie statt des horizontalen, die Dachung" verber-
genden Abschlusses das steile Dach, die zahlreichen Thürme und
Erker, Plan und Aufbau der unteren Stockwerke u. s. w., während
sie erst da, wo die italienische Architektur abschliesst, nämlich im
Obergeschoss und in der Bedachung, ihren höchsten Reichthum und
zwar in den Formen des neuen Styls entfaltet Denn die mit den
Thurmüberhöbilligen in Zusammenhang gebrachten Dacherker (Lucar-
nen), reichgeschmückten Schlote u. s. w. charakterisiren geradezu
die Palastrenaissance Frankreichs dieses Jahrhunderts und verleihen
Reber, Kunstgeschichte. 2