Volltext: Geschichte der neueren deutschen Kunst vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis zur Wiener Ausstellung 1873

nicht genügend in ein Gemälde übertragen worden. Die helle Hal- 
tung, hervorgerufen durch zu unkräftige, meist farbige Schatten, gab 
dem Ganzen eine unerquickliche Eintönigkeit der gelblichrothen 
Fleischtöne wie des blauen Grundes. Allein der kunstsinnige König 
und das maassgebende Publikum hätte doch die farbige lnscenirtmg 
nicht so überwiegend in's Auge fassen sollen, dass man darob die 
grossartige Conception, gediegene Gomposition, mächtige Zeich- 
nung, Modellirung u. s. w. beinahe übersah. Man hätte namentlich 
gerade an dem gewaltigen xDlOS iraea, den der Meister in einfacher 
Grossheit an die Wand geschrieben und den er nicht, wie vordem 
Rubens in's Gebiet einer fast frivolen Realität ziehen wollte, das 
Coloristische und Decorative nicht in erster Linie betonen sollen. 
Cornelius hatte den Standpunkt höher genommen und in seinem 
Schaffen vergessen, dass andere sein Werk mit anderen Augen sehen 
würden, als seine geistigen waren. Er wollte seine erhabenen Ge- 
danken, die majestätische Herbigkeit seiner Idee nicht beeinträchtigen 
durch eine Zuthat, die ihm für das Reich der Geister zu profan 
schien, und lebte sich so in den grossen Gegenstand selbst hinein, 
dass er des Gemäldes im engern Sinne und der Wirkung desselben 
als solchen vergass. Niemand wird behaupten wollen, dass jener 
Meister zurückging, der  was wohl selten  sein vollendetstes 
Werk erst im Greisenalter geschaffen; und doch sind schon seine 
Bartholdyfresken anziehender gemalt als sein jüngstes Gericht. Oder 
sollte es dem an der Freskotechnik gemangelt haben, der sie der 
Welt eigentlich wieder gelehrt und fast ausschliesslich geübt hat, der 
in der Glyptothek bei seinen wie seiner Gehilfen Arbeiten so viele 
Gelegenheit zur Ansammlung von Beobachtungen -und Erfahrungen 
gehabt und es in der That dort auch nicht an Versuchen hatte 
fehlen lassen, nach dieser oder jener Weise weiter zu gehen. Kurz, 
die coloristische Behandlung des jüngsten Gerichtes war bewusst 
und gewollt, fusste auf den michelangelesken wie altitalienischen 
Vorbildern und sollte in keuscher Entsagung allen Sinnenreizes mit 
dem Gegenstande im Einklang stehen, in den er sich mit gläubiger 
Begeisterung versenkt hatte. Ihm war das jüngste Gericht nicht wie der 
Mehrzahl der modernen Beurtheiler lediglich ein Gemälde, sondern eine 
Vision, an welcher er als Christ und Künstler gleichen Antheil hatte. 
In Hinsicht auf die Composition und Zeichnung aber hat 
manchem Auge die hier auftretende Formgebung etwas starres und
	        
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