der Polyxena des alten griechischen Meisters den trojanischen Krieg
zu lesen, so spricht aus diesen Augen die unheilverkündende Seherin,
welche eben den Fluch gegen die Atriden schleudernd zu spät von
Agamemnon behindert wird. Gerne nimmt man die neun Musen-
köpfe des beschriebenen Olymp für dieses eine mächtige Haupt in
den Kauf und kehrt auch mit Entzücken zurück von der ohnmäch-
tigen Reue der an eine Säule geklammerten Helena zu der wunder-
baren Heroine. Dem unergründlich tiefen zukunftsehenden Antlitz
entspricht Gestalt, Haltung und Geberde, unvergleichbar mit allem
was unsere Kunst und vielleicht alle seit dem Cinquecento geleistet.
Und neben dieses Juwel pflanzt sich die Prachtgestalt des den Knaben
Astyanax über die Mauer schleudernden Neoptolemos, in Zeichnung
und Bewegung wie in ihrer jugendlichen Heldenkraft nur mit des
Künstlers Siegfried am Brunnen zusammenzuhalten, aber diesem
an Formdurchbildung entschieden überlegen. Neben einer solchen
Gestalt kann auch die Leiche des greisen Priamos im Vordergrunde
nicht zu dem Tadel veranlassen, als hätte der Künstler noch an
jener Ungelenkheit der Anordnung gelitten, welche in seinen Erst-
lingswerken allerdings peinlich berührt. Jede malerische Pose ist
vielmehr hier absichtlich vermieden: Die Beine schlicht nebenein-
ander, in Farbe und Formen des Nackten nichts als potenzirte Wahr-
heit verrathend, bietet der als Vater so vieler Heldensöhne kraftvolle
Heldengreis das Bild des Todes nach schrecklichem Geschick ebenso
ganz und drastisch dar wie Neoptolemos das Bild des Lebens. Hier
ist keine andere als künstlerische Schönheit zu suchen.
Ueberblicken wir noch einmal den ganzen Gemäldecyklus und
vergleichen wir ihn mit Kunstwerken, wie sie dem Meister vorlagen,
so werden wir den Einfluss der Antike, Raphaefs, Michelangelds
und Dürer's mehr fühlen als sehen. Von einem formalen Anlehnen
an diese Vorbilder ist nemlich keine Rede, noch weniger von manie-
ristischer Nachahmung. Dem Geiste nach antik aufgefasst, in Com-
position und Ausdruck an Raphael, in Grossartigkeit und Kraft an
Michelangelo, in scharfer Charakteristik und bis an Härte streifen-
der Präcision der Formgebung an Dürer gemahnend ist doch alles
neu von der Erfmdung bis zur Ausführung im Detail, kurz es
leuchtet wieder entgegen was zwei Jahrhunderte lang nicht bloss
in Deutschland, sondern in der Welt verloren war, der Selbsteigene
Styl. Dieser aber ist das den vollen Meister und den bahnbrechen-