Zeitanschauung mit Berninfs Kunstrichtung war es indess nicht allein,
was dessen fast beispiellose Stellung in der Kunstwelt laegründete;
denn es können ihm auch einige Vorzüge, namentlich eigenes, nicht
blos manieristisch erborgtes Kunstvermögen und frische Originalität
keineswegs abgesprochen werden. Allein diese dürften nicht für die
vollendete Verhöhnung aller plastischen Stylgesetze entschädigen, wie
sie schon in der Wahl seiner zumeist tinplastischen Stoffe oder in
der Vorliebe für das Unstetige, Kraft- und Haltlose und sonst der
Bildnerei Widerstrebende in der Natur, in der bis zur Rohheit über-
triebenen Derbheit der männlichen und in der kraftlosen Weichheit
der weiblichen Körperformen, in den ganz für sich behandelten und
von dem Zusammenhang mit dem Körper gelösten Gewändern, die
im schroffsten Contrast zu der durch das Material geforderten Ruhe
flatternd gebauscht den entgegengesetztesten Winden preisgegeben
zu sein scheinen, überhaupt in dem Aufsuchen von stürmischen
Scenen und dem Heranziehen übermässig bewegter und darum un-
wahrer Attituden selbst bei den ruhigeren Scenen der Andacht und
inneren Sammlung sich ausprägte. Alles dieses aber entsprach den
damaligen Culturverhäiltnissen in dem Grade und alle diese Unwahr-
heit spiegelte die Anschauung und die Gebahrung des 17. Jahrhun-
derts so wahr wieder, dass man diese Gebilde als den Ausdruck der
Zeit allen anderen verzog; und die nachfolgenden Künstler, selbst
wenn sie von einer besseren Ueberzeugung beseelt gewesen wären,
bis tief in das 18. Jahrhundert hinein in den berninischen Bahnen
zu bleiben zwang.
Die Bildnerei im grössten Theil von Europa folgte den Spuren
der Plastik Italiens, welchem Lande seit dem Beginn der Renaissance
die Führerschaft in der Kunst überhaupt und ganz besonders in der
des Mcissels zugefallen zu sein schien. Zu theihveiser Selbständig-
keit rafften sich jedoch in erster Reihe Nordfrankreich und das
benachbarte Flandern auf, welche Gebiete auch im Mittelalter in
dieser Kunst, wie in der Architektur das Meiste geleistet hatten.
Schon im 16. Jahrhundert hatte unter den nach Italien gelangten
und hauptsächlich dort thätigen Meistern Jean de Douay, bekannter
unter dem Namen iGiovanni da Bologna, sich den namhaftesten
italienischen Meistern gleichgestellt, ja sie zumeist an feinem und
correktem Formensinn und grösserer Unabhängigkeit von der herr-
sehenden Wanier übertroffen. Noch selbständiger hatten sich, wenn