Volltext: Geschichte der neueren deutschen Kunst vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis zur Wiener Ausstellung 1873

Es liegt ausserhalb oder vielmehr vor unserer Aufgabe die Ursachen 
zu untersuchen, aus welchen die deutsche Kunst der kaum erlangten 
Selbständigkeit sofort wieder verlustig ging: doch darf abgesehen 
von den politischen und Religionsverhältnissen Deutschlands daran 
erinnert werden, wie schwer es zu entscheiden sei, ob in Dürer der 
glänzende künstlerische Abschluss des Mittelalters oder der Bahn- 
brecher der modernen Kunst überwiege, während selbst bei Holbein, 
welcher doch sonst seinen grossen nürnberger Zeitgenossen an mo- 
derner Auffassung und Formgebung überragt, der Abstand von van 
Eyck bei weitem geringer erscheint als die Kluft, welche zwischen 
den Begründern der Renaissance in Italien und einem Raphael und 
Michelangelo augenfällig erscheint. Eine gedeihliche Fortentivicklung 
der Dürefschen Richtung wäre daher nur genialen Kräften möglich 
gewesen, welche den bei dem grossen Meister vielfach latenten Kern 
geahnt und erfasst hätten, statt sich auf schulmässige und noch 
nach der mittelalterlichen Anschauung schmeckende Formen und 
Aeusserlichkeiten zu beschränken, welche Dürer erst in seinen letzten 
Werken ganz abzustreifen vermochte. Holbein aber entzog sich zu 
früh seinem Vaterlande, als dass er dort  und wo wäre es nach 
den damaligen Culturverhältnissen leichter möglich gewesen als in 
Augsburg  zu einer hedeutenderen Fortentwicklung hatte anregen 
können. 
Bei den Schülern und Nachfolgern der beiden grossen Meister, 
wie auch bei denen des an sich weit niedriger stehenden Meisters 
Cranach ist daher nur ein Rückgang ersichtlich, da sie weder eigenen 
Genius noch Verstündniss von der bahnbrechenden Bedeutung ihrer 
Vorbilder in die Wagschale zu werfen hatten. Dürers Schüler, 
Hans v. Culmbach, Sehäutfelin, Altorfer, die beiden Beham, Alde- 
grever und Penz erscheinen vielmehr noch mittelalterlicher als ihr 
Meister, dessen Entivicklungsgang bis zu den Apostel- und Evan- 
gelistentafeln sie nicht zu folgen vermochten; die Nachfolger Holbein's 
aber, selbst die tüchtigen Amberger, Deutsch, Asper und der nach 
gewissen Seiten hieher gehörige H. Muelich stellen sich im Ganzen 
und Grossen doch nur mehr als Manieristen dar, ohne die Klarheit, 
Wärme, charakteristische Schärfe und Sicherheit ihres Vorbildes 
irgendwo zu erreichen. _ 
Die deutschen Künstler hatten sich daher schon in der nächsten 
Generation, der zweiten Hälfte des 16- Jahrhunderts, nach Italien
	        
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