Volltext: Geschichte der neueren deutschen Kunst vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis zur Wiener Ausstellung 1873

der schmerzhaften Madonna, Mephisto ist geradezu scurrill in der 
Walpurgisnacht. Zeichenfehler, Uebertreibungen, Ungleichheiten, 
Härten, perspectivische Mängel überall. Doch anderseits welche 
Wahrheit der Empfindung, Welche Originalität der Auffassung, welche 
Energie der Gomposition und Formgebung! Keine Linie conventionell 
oder unbestimmt, jeder Strich bewusst und bedeutsam. Nichts von 
lediglich malerischen Effekten, überall ernste oft herbe Strenge, Ein- 
fachheit und Concentration auf den Geist der Scene, so dass es fast 
unbegreiflich erscheint, wie Goethe nicht empfand, was aus diesem 
Anfang werden konnte und werden musste, wenn die Unbeholfen- 
heiten sich abgestreift, die Härten sich gemildert, die Formen sich 
geklärt hatten. Ja es möchte fast scheinen, dass sein anfangs nicht 
absprechendes aber im Ganzen kalt höfliches Urtheilf) sich keines- 
wegs hob, als er von der ungleich trefflicheren Fortsetzung, von 
welcher eine der Perlen des Ganzen, Gretchen's Ohnmacht in der 
Kirche, bereits Riesenfortschritte zeigt, Kunde gewann. Es ist schwer 
verständlich, wie die wunderbar ergreifende (in Rom entstandene) 
Composition Gretchen im Kerker ihn nicht näher laerührte, und 
dass er noch 1816 die Zeichnungen von Cornelius und Retzsch auf 
eine Linie stellen und sie als eine Art von Curiosa und als Experi- 
mente bezeichnen konnte, adurch neuere Kunst das Andenken einer 
älteren aufzufrischen, damit man, ihre Verdienste erkennend, sich 
alsdann um so lieber zu freieren Regionen erhebeatr), ja dass er 
sich sogar entschieden verdammend über die ganze Richtung aus- 
spracht"). Der grosse Lobredner eines Hackert war noch zu 
befangen in seinem obsoleten Kunsturtheile, aus welchem er erst 
durch den Nibelungencyklus aufgerüttelt werden sollte. 
Das von Wenner in Frankfurt für die vollendeten wie noch in 
Rom herzustellenden Faustblätter bezahlte Verlagshonorar wie die in 
gleichem Sinne für das Helwig-Fouquelsche Taschenbuch der Sagen 
und Legenden gezeichneten Illustrationen boten endlich die Mittel 
zur Ausführung der längst geplanten Studienreise nach Italien. Der 
Künstler fühlte sich überglücklich, nun für einige Zeit der Brodarbeit 
wie der ihm schlechterdings nicht gelingenden Porträts überhoben 
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 Brief Goethe's an Cornelius v. 8. Mai 1811. Förster a. a. O. S. 80. 
m") Annalen von 1816 (Ausgabe 1840 Band 27. S. 315.) 
 Sulpiz Boisseräe. Tagebuch. Stuttgart 1862. I. u. Sept. 1815. s. 275. 
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