Es lag eine unbestreitbare Berechtigung in dem Entschluss der
Neuerer, statt bei einer Stufe des Auslebens der Kunst und des Ver-
falls, wie sie die vorher als canonisch betrachteten Caraccisten dar-
stellten, vielmehr bei einer Vorstufe der höchsten Vollendung anzu-
knüpfen, um damit dem abgelebten Formalismus und der Inhalts-
losigkeit der eklektischen wie der classicistischen Richtung sich zu
entwinden und die Wahrheit des Gehalts, des Gedankens und der
Empfmdung mit den einfachen Mitteln älterer Meister in deren naiver
Auffassung wieder zu erringen, zugleich aber die Möglichkeit zu haben,
in weiterem Fortschreiten auf ähnlichem Wege zum Höhenpunkte
zu gelangen, wie er von den Cinquecentisten erreicht worden war.
Allein Ausgangspunkt und Vorbilder, einmal gewählt, mit Liebe und
Ueberzeugung erfasst und mit überraschendem Erfolg angeeignet,
wirkten zu Verführerisch, als dass man sich ihnen wieder hätte ent-
reissen, und über sie frei hinausgehen können. Die schlichte, magere,
ascetisch hingebende Auffassung und Formgebung der Quatrocentisten
bemächtigte sich der Klosterbrüder wahrhaft bestrickend, und erzeugte
das gewiss falsche Gefühl, dass eine Weiterentwicklung an der Hand
der Natur, das Heraustreten aus dem magischen Kreise der als Ideal
erkorenen Vorbilder gleichbedeutend sei mit dem Aufgeben des
specifisch christlichen Charakters zu Gunsten des modernen Geistes.
Die romantischen Ideen fesselten förmlich an das vorreformatorische
Zeitalter: daher das Stehenbleiben bei einer Auffassung, wie sie zu
Anfang des 16. Jahrhunderts erreicht worden war. Daher das Ver-
werfen des zur Uebung gleichwohl nicht vernachlässigten Modells
zur Benutzung für die Ausführung einer Goinposition, aus Furcht,
es möchte von der idealen durch Phantasie und ältere Vorbilder in
gleichem Antheil geschaffenen Vorstellung des darzustellenden Gha-
rakters abführen. Daher das Ablehnen der Benutzung der seit dem
Cinquecento errungenen Vortheile der Goloristik und Modellirung,
welches notlnvendig dahin führen musste, dass bald die Zeichnung
und der Garten in das entsehiedenste Uebergewicht trat. Daher
das Verwerfen antiker wie moderner Stoffe, selbst V0l'Cl1l'lStllCl1(3I'
wie sie das alte Testament darbot, die nur selten mehr gewählt
wurden. Namentlich aber die Verwerfung der Selbstgeltung des
Modells im Porträt, welches durch die formale Behandlung im Styl
fiel" Qußtrocentisten an Wahrheit und Lebigkeit verlieren musste,
wie diess Overbecks Bildniss der Vittoria Caldoni von Albano