Volltext: Geschichte der neueren deutschen Kunst vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis zur Wiener Ausstellung 1873

Die unklaren romantischen Bestrebungen in Dresden hätten der Ent- 
wicklung Overbeckis vielleicht störender entgegengewirkt, als eine Schule, 
die ihn zu entschiedener Opposition und zum offenen Bruche zwang, 
wie es an der von Füger geleiteten Wiener Akademie, damals der 
geschätztesten Deutschlands, geschah. Kaum hatte er nemlich diese 
Schule, wo Vater Overbeck die technische Ausbildung und Vorbe- 
reitung des Sohnes zum Studienaufenthalte in Italien am besten 
besorgt glaubte, bezogen (1806), so wurde es ihm sofort klar, dass 
die eklektisch imitatorische Weise, der mengsisch-davidische Forma- 
lismus seinem Kunstideale nicht entsprach, Welches er höher setzte 
als in technische Fertigkeit und akademischen Regelzwang. Es 
widerte ihn an, dass die gewählten Gegenstände nur dazu da sein 
sollten, dem angelernten Können als Gelegenheit zur Darstellung zu 
dienen, ohne für sich Bedeutung in Anspruch zu nehmen, und ledig- 
lich gewählt werden sollten, je nachdem sie sich zur Folie für vir- 
tuose Wiedergabe formaler Schönheit und technischer Compositions- 
wie Ausführungseffecte eignen Würden. Es war ihm unerträglich, 
dass neben der Antike noch immer namentlich die Carraccisten als 
niustergiltig zu betrachten sein sollten, welchen doch vorwiegend nur 
formales aber wenig inhaltliches Verdienst zugeschrieben werden 
könne. Es musste aber insbesondere seiner genialen Natur der 
gesammte Schulbetrieb, das Zurückdrängen und Verdammen jeder 
Eigenart, die uniforme Kunstdressur unleidlich sein und immer un- 
leidlicher werden, je mehr er sich selbst fühlte und bewusst ward 
zu Besseren1 berufen zu sein, als zum Mitglied einer gleichunter- 
richteten gedrillten Schaar, in welcher jeder eigene Gedanke durch 
Regelkram und Formenwesen erstickt war. Doch beugte er sich 
lange unter das schwere Joch, das seinen Flug hemmte, nicht ohne 
auch in technischer Hinsicht zu gewinnen, wie er namentlich in 
diesen Jahren im Akt jene Sicherheit erlangte, die es ihm ermög. 
lichte, mit der Feder fehlerfrei nach dem Modell zu zeichnen. Doch 
sein eigentliches Kunstbedürfniss blieb ohne Nahrung, bis er im 
Austausch mit einem gleichgesinnten Freunde Ersatz fand. vErsparen 
Sie es mir,4( schreibt der junge Künstler im März 1810 an Kestner, 
aeS Ihnen ausführlich zu schildern, wie die ersten Jahre meines 
Hierseins verstrichen, wie ich unter Menschen, die ich weder achten 
noch lieben konnte, in dumpfer Betäubung fortvegetirte und was ich 
für ein Alltagsmensch ward auf dieser schulähnlichen Akademie;
	        
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