Volltext: Geschichte der neueren deutschen Kunst vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis zur Wiener Ausstellung 1873

hypochondrischen Reflexionen und Phantasien verbunden hatte. 
Doch hatte sich, als Tieck von der Universität Halle für ein Jahr 
nach Göttingen übergesiedelt und dort sich mehr in_ das Studium 
Shakespeares und Cervantes vertieft, besonders aber als er sich 
wieder mit seinem Schulfreund W. H. Wackenroder zu Erlangen 
vereinigt hatte (1793), sein geistiger Horizont etwas geklärt. Der 
herrliche Freund, und einen treueren, hingebenderen, edleren als 
Wackenroder konnte es kaum geben, stand nun wie ein guter Genius 
ihm zur Seite, die Schatten verscheuchend, zu geregelter Thatigkeit 
und zum Guten spornend. Damals erschloss sich den Freunden der 
Sinn für die Herrlichkeit der älteren bildenden Kunst; sie sahen den 
Dom zu Bamberg, pilgerten nach Nürnberg und fanden zu Pommers- 
felden die erste grössere Gemäldegallerie. Die Natur der fränkischen 
Schweiz und nächsten Nachbarschaft, die Ruinen der dortigen Ritter- 
burgen liessen das alles verkörpert erscheinen, wovon sie bisher nur 
in der Phantasie geschwärmt. Selbst das peinliche Engagement, das 
Tieck bei dem alten Aufklärungshelden Nicolai als Novellenschrift- 
steiler angenommen, konnte die einmal angenommene Richtung nicht 
mehr zurückdrängen, die sich dann in der Marchendichtung gewaltsam 
Bahn brach. Ahnung und Stimmung, Töne und Farben sind die 
Elemente, auf deren Wellen sich nun die Phantasie der romantischen 
Dichter in ganz lyrischer Haltung mehr schaukelt als vorwärts bewegt. 
xElIl Garten mit plätschernden Springbrunnen und rauschenden 
Bäumen, Musik von allen Sorten, Töne, die sich mit Farben ver- 
gleichen, Sclmierzen und Thränen, die sich auf Zweifel und Sehnen 
reimen, endlich bunte wunderbare Traumgestaltenß so fasst Haym 
die Bestandtheile der neuen Poesie auf den engsten Raum zusammen. 
Alle früheren Producte Tieclds standen jedoch mit der bildenden 
Kunst in keinem Zusammenhang. Anders verhielt es sich mit drei, 
1797-1799 erschienenen Werken, welche zumeist, wenn nicht der 
Feder so doch den Anschauungen Wackenrodefs entsprungen sind: 
sdie Herzensergiessungen eines kunstliebenden Klosterbrudersß sFranz 
Sternbald's Wanderungena und vdie Phantasien über die Kunstc. 
Wackenroder ist ein begeisterter Kunstfreund, der es sich zum Lebens- 
geschäft machen möchte, vvor der Kunst niederzuknien und ihr die 
Huldigung einer ewigen, unbegränzten Liebe darzubringenc, in der 
Begeisterung für die Kunst so stark Wie Winckelmann, nur dass 
nach Haym's anschaulicher Vergleichung bei dem letzteren begeisterte
	        
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