Erstes
Oapitel.
Veränderte
Anschauungen.
so gross der dem Classicismus zu Grunde liegende Irrthum
sein mochte, das antike Leben in Anschauungen, Staatsformen, in
Literatur und Kunst wieder-erwecken zu können, so hätte doch kein
WVeg sicherer zu dem Ziele führen können, der Verkommcnheit der
vorausgängigen Tradition zu entfliehen, und zu neuen, frischen und
gesünderen Zuständen sich aufzuraffen, als diese Rückkehr zur Antike.
Besonders wenn man darunter nicht blos äusserliche, declamatorische,
unempfundene Nachahmung verstehen, sondern vielmehr aus ihr
lernen wollte, Wieder naiv und einfach, aber gross und tief zu denken,
wenn die Rückkehr zur Antike in gewissemSinne gleichbedeutend
war mit der Rückkehr zur Natur, indem man, wie es schon-Diderot
empfiehlt, aus ihr lernte, die Natur zu sehen. Gerade darum aber
konnte sie tnicht mehr sein als eine Schule, welche, wenn Sie die
Verzogenheit der vorausgegangenen Zeit abgewöhnt hatte und durch-
laufen war, schliesslich zu grösserer Selbständigkeit führen und
befähigen musste, nemlich zu mehr Unmittelbarkeit und zeitgemässer
Wahrheit. Denn die grossen Denker um die Schwelle unseres Jahr-
hunderts konnten sich der Erkenntniss nicht verschliessen, dass Geist
und Auge, durch jene Schule geschärft und geklärt, die modernen
Dinge und Verhältnisse nicht für die Dauer durch die Brille des
Auerthunls sehen konnte, ohne durch die zweifellose Fremdartigkeit
des Mediums die Eigenart zu verkümmern, welche die veränderte
Reber, Kunstgeschichte. 13