Volltext: Geschichte der neueren deutschen Kunst vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis zur Wiener Ausstellung 1873

die sclavische Nachbildung nicht hlos classischen Styles, sondern 
athenischer Bauwerke oft geradezu verletzt. Denn der wunderlichen 
Combinationen eines R. Cockerell und J. Nash an der S. Georgs- 
Kapelle und an der Allerseelenkirche in London nicht zu gedenken, 
ist es als ein entschiedener Missgriff zu bezeichnen, wenn der sonst 
verdiente W. Inwood (1822) in übergrossem puristischem Eifer des 
Archäologen das Erechtheiion unter Wiederholung der Seitenporticus 
auf beiden Seiten als Kirche des h. Pancratius nach London ver- 
pflanzt und zum Ueberflusse den Thurm der Winde als Glocken- 
thurm anfügt; oder wenn J. St. Repton das choragische Denkmal 
des Lysikrates als Uhrthurm wiedergiebt.  
Immer entschiedener aber tritt gegen das Ende der classicisti- 
schen Periode auf allen Kunstgebieten zu Tage, dass in den nächsten 
Jahrzehnten die Superiorität in der Kunst Deutschland zufalle, und 
dass diess seiner zweiten Glanzperiode entgegengehe. Während die 
Nationen Frankreichs und Italiens den Nacken erst unter langwie- 
rigem Despotismus und dann unter dem kaum schlimmeren Joche 
der Reaction zu beugen hatten, wodurch mit der Freiheit namentlich 
der Kunst für einige Zeit die Lebensluft entzogen ward, rang sich 
gerade Deutschland aus dem Drucke des honapartistischen Ueber- 
muthes zu Sclbstgefühl und Bedeutung empor. Dem Drucke folgte 
nicht wie dem französischen Sicgestaumel Erschöpfung, sondern das 
Wiederaufleben der Genesung, welches gerade die herbe Arznei, die 
Frankreich selbst den Nachbarn gegen die auch von ihnen ausge- 
gangene Versumpfung und Entsittlichung gereicht hatte, wesentlich 
beförderte. Die allgemeine Entrüstung über die letzte Vergangenheit 
mit dem ganzen Gefolge von Schmach und Elend spornte die Geister 
zu AHStH-rngungen, wie sie mehre Jahrhunderte lang nicht mehr 
gemacht worden waren. Und zwar auf allen Gebieten, vorab auf 
den höchsten des menschlichen Geistes, nemlich der Wissenschaft 
und der Kunst. Wieder galt der innere Werth und die ganze Wahr- 
heit mehr als die äussere Form, es war vorbei mit eitlel" iHhEÜÜOSCP 
oberflächlicher Prahlerei in lediglich schöngeistiger Wissenschaft, vor- 
bei mit der formalen Prunktendenz in der höfischen Kunst. Dazu 
war wieder ein Gefühl lebhaft erwacht, das in langer Gulturabhängig- 
keit fast erstickt war, das der Nationalität. Diesem konnte der mehr 
kosmopolitische vaterlandslose Classicismus nicht mehr genügen. Man 
suchte zurück in andere Zeiten, man besann sich förmlich neu der
	        
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