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IV
Morgen.
Carstens"
Entwicklungsgang und Blission.
ist, gross und innig nachzufühlen, auszufühlen und lebendig darzu-
stellenß Dagegen war unter der Aegide der beiden Dichterfürsten
1797 in den wHorenc ein Aufsatz von dem Maler Friedr. Müller
erschienen, welcher als der Vertreter der herkömmlichen Manier die
Ausstellung und Carstens selbst möglichst herabsetzte. Kein Wunder,
dass die Meinungen getheilt, ja sogar vorwiegend dem Künstler
ungünstig blieben, bis die allgemeine Kenntnissnahme von den
Schöpfungen selbst jenen Umschlag zu seinen Gunsten bewirkte,
den wir auch bei Goethet) finden. Diesen Umschlag hatte freilich
Carstens nicht mehr erlebt, sondern inzwischen einen Ausgang
genommen, der elend genannt werden müsste, wenn ihn nicht das
Bewusstsein seines Werthes und die Verehrung einiger treuer Freunde,
welche ihn hoffen lassen konnten, dass seine Mühen nicht ohne
Nachfolge und der von ihm gebahnte Weg weiterhin nicht unbe-
treten bleiben würde, über alle Widerwartigkeiten erhoben und selbst
mit dem Tode versöhnt hätten.
Der Künstler hatte noch während. der Ausstellung ein Werk
geschaffen, das vielleicht die vollendetste unter seinen Schöpfungen
zu nennen ist: wdie Nacht mit ihren Kindernc (nach Hesiotlytf) Die
Composition, zu welcher der Künstler durch eine Stelle bei Pausanias
in dessen Beschreibung des Kypseloskastens (V. 18. 1.) entfernt
angeregt war, stellt den Schlaf und Tod im Schoosse der ihren
Mantel über sie breitenden, leise nach vorn geneigt sitzenden Nacht
dar. Neben dieser sitzt Nemesis, den Blick ab- und in die Ferne
gewandt, während im Hintergründe die verhüllte Schicksalsgöttin
das Buch hält, aus welchem die Parzen singen. Am Gesammtauf-
Dilü wäre vielleicht das architektonische Gebrechen zu tadeln, dass
die Gestalt der Nemesis an der gegenüberliegenden Seite keine Ent-
sprechung findet, und dass auch sonst diese Seite nicht im vollen
Gleichgewicht steht; die Hauptfiguren aber gehören wohl zu dem
schönsten, was die neuere Kunst überhaupt geschaffen hat. Charak-
teristik, Wärme der Empfindung, Gehalt, Bedeutung der Motive und
i) Winckelmann und sein Jahrhundert. Tüh. S. 325. ff.
H) Museum zu Weimar, woselbst auch schöne Gewandstudien hiezu. Müller,
Taf. 22. Das danach für den Bar. v. Knuth aus Dänemark hergestellte Oelge-
mälde ist verschollen. Zwei sorgfältige Aquarßllcßilien VOYI J- Koch (im ThOIWYR-MHS.
zu Kopenhagen und in der MarschalFschen Samml. z. Carlsruhe), Stich von Thäter
1839) im Kupferutlas zur Raczynskfschen Geschichte der neuem deutschen Kunst.