Volltext: Geschichte der neueren deutschen Kunst vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis zur Wiener Ausstellung 1873

chem er zunächst zu schöpfen habe. Seine Entwicklungsbahn war 
mit seinem Eintritt in den Antikensaal wie mit einem Blitzstrahl 
erleuchtet vor ihm. wVon nun an, sagt Carstens selbst, war ich fast 
täglich halbe Tage lang unter diesen Abgüssen, liess mich bei ihnen 
einschliessen und betrachtete sie unaufhörlich. Gezeichnet habe ich 
da niemals nach einer Antike. Ich glaubte, das Nachzeichnen würde 
mir zu nichts helfen, und wenn ich es versuchte, so war mir, als 
0b mein Gefühl dabei erkalte. Ich dachte also, dass ich mehr lernen 
würde, wenn ich sie recht fleissig betrachtete und ihre Formen 
meinem Gedächtnisse so fest einprägte, dass ich sie nachher wieder 
aus der Erinnerung richtig aufzeichnen könnte; und diess war auch 
das Einzige, was ich nun lange Zeit triebß 
Welch' ein gewaltiger Unterschied zwischen dem künstlerischen 
Anlauf eines Mengs und eines Carstens! Jener von Kindesbeinen ja 
von Geburt an auf die Kunst hingewiesen, selbst gewaltsam dazu 
gedrängt, so dass es sogar zweifelhaft erscheint, 0b er ohne Zwang 
ein Künstler geworden: dieser durch schmerzlichen Zwang von der 
Erfüllung seines heissen Wunsches, Künstler zu werden, zurückge- 
halten, und erst im reiferen Alter gegen Aller Willen dazu gelan- 
gend; jener erst technisch gedrillt und dann zu den Antiken gesperrt, 
um durch unablässiges Copiren die Formen mehr in die Hand als 
in Geist und Herz zu bringen, mehr iiusserlich als nach ihren 
inneren Gesetzen zu erlernen: dieser ohne technische Vorbildung zu 
der Antike gelangt und bemüht, das Wesendersellaen und die Schön- 
heit des griechischen Ideals mit dem Auge zu trinken und von innen 
heraus zu ergründen und zu verstehen; jener seinen Fornienvorrath 
in verdrossener Jugendarbeit mühselig erringend, darum auch später 
in kalter Nachahmung und Berechnung empfindungs- und leblos, 
Ohne Organische Wahrheit verwerthcnd: dieser mit Lust und Be- 
geisterung sich im Anschauen mit dem Gehalt des Geschauten cr- 
fünend und bemüht, die Formen nicht mit der Hand, sondern mit 
dßm GeiStC ZU erlernen und so dem Gedächtnisse einzuprägen. Wie 
unendlich höher die Auffassung eines Carstens steht, bedarf wohl 
keiner weiteren Erläuterung; denn es Jaleilot wahr, was Fernow t) 
treffend sagt: aDie Antiken sollen nicht blos nachgeahmt werden, 
sondern der Künstler soll sich mit Sinn und Geist und Gefühl so 
Schoppenhazzer, 
Leben. 
Ludwig Fernow's 
Carl 
Tübingen 
1810.
	        
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