Volltext: Geschichte der neueren deutschen Kunst vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis zur Wiener Ausstellung 1873

reichend, um manches Talent technisch xfertig zu machene, noch 
ehe Carstens zum Anfange kam, und in der That vermochte auch 
Carstens das in technischer Hinsicht Versäumte nie mehr nachzu- 
holen; allein wer es erfahren hat, wie bitter es sich rächt, wenn 
eine noch zu jugendliche Kraft, selbst im Falle sie stark genug, um 
sich nicht in falsche Richtungen lenken zu lassen, sich verfrüht auf 
eigene Wege und an Grosses wagt, der wird diese verlernen Jahre 
weniger beklagen. Jedenfalls hat Carstens das, Was er durßh djeseg 
Versäumniss technisch verlor, durch seine zum Theil nothgedrungene, 
grösstentheils aber bewusste und erstrebte Selbständigkeit und von 
mechanischer Anlernung rein gebliebene Unbefangenheit hundertfach 
wieder gewonnen.  
Fünf Jahre schmachtete der Genius in den Kellern zu Eckern- 
förde, stets seine Hand in den Feierstunden und selbst Nachts in 
Zeichnungen, Bildnissen, ja selbst im Malen übend, als ein Freundes- 
Wort den Entschluss reifte, seine Fesseln abzustreifen und sich von 
seinen contraktlichen Verbindlichkeiten förmlich loszukaufen. Im 
Herbst 1'776 finden wir den jungen Mann in Kopenhagen, dessen 
Akademie sich damals eines nicht unbedeutenden Rufes und ge- 
schickter Professoren wie des Malers Nie. Abilgaard und des Bild- 
hauers G. Fried. Stanley zu erfreuen hatte. Allein das akademische 
Treiben entsprach ihm nicht: weder das stückweise Zeichnen einzel- 
ner Glieder nach Vorlagen, Gypsen und nach der Natur, sdiese zer- 
stückelte Art zu studirenc, noch das Zeichnen nach lebendem Modell 
im Ganzen, welches mit seinen Schönheitsbegriüen nicht vereinbar 
schien, und so entschloss er sich, vorerst gar nicht in die Akademie 
einzutreten, und lediglich die Vorträge über Anatomie und zwar 
wiederholt zu besuchen. Auch die k. Gemäldegalleric entzündete ihn, 
obwohl ihm die trefflichen Werke bewunderungswürdig erschienen, 
nicht mehr in der Weise, wie einst Jürgen Ovens' Bilder im Dom 
zu Schleswig und standen, zumeist aus Gemälden der niederländischen 
Schulen bestehend, seinem Genius fremd, ja wunbegreifliche gegen- 
über. Dagegen erschloss sich Herz und Phantasie ganz, als er den 
Antikensaal der Akademie betrat, und wenn auch die Werke der 
Griechen seine Vorstellung und Erwartung weit übertrafen und ihm 
geradezu sals höhere von einer übermenschlichen Kunst gebildete 
YVesenc erschienen, so erkannte er doch sogleich, dass diese seinem 
bisher dunkelen Ideale entsprachen und hier der Born sei, aus wel-
	        
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