JUL
rend der Dom mit seinen Altarbildern nicht blos seine Feierstunden
des Mittags, sondern auch seine Phantasie ganz in Anspruch nahm.
Er selbst erzählte später seinen Freunden, dass er nicht müde ward,
Während seine Schulkameraden spielten, im Dome vor einigen Ge-
mälden von Jürgen Ovens, einem Schüler Rembrandts in inbrünsti-
ger Betrachtung zu sitzen, wobei sein Enthusiasmus für die Kunst
sich derart entzündete, dass er unter Thränen Gott um die Gnade
antlehte, ihn dahin gelangen zu lassen, dass auch er einst zu seiner
Ehre so herrliche Bilder malen könne. Seine heissen Wünsche blie-
ben auch der Mutter wie den Lehrern unverhohlen; allein ihrer Ver-
wirklichung trat nach einigen vergeblichen Unterhandlungen mit dem
sonst obscuren' Maler Gewe in Schleswig und mit Rath Tischbein in
Cassel, Welcher unerfüllhare Bedingungen für die Lehre stellte, der
Umstand entgegen, dass des Knaben Mutter ihrem bereits früher
verstorbenen Gatten im Moment der Entscheidung in's Grab nach-
folgte, und die Vormünder nicht Zugaben, dass ihr ganz verwaister
Mündel sich reiner so Lmnützen und brodlosen KUHSN wie der Ma-
lerei widme.
Es ist wohl schwer zu sagen, ob dieser Entscheid ein Unglück,
und ob es nicht besser war, dass der nun sechzehnjührige Knabe
in eine gewerbliche Lehre kam (er ward als Küferlehrling zu einem
Weinhändler nach Eckernförde gebracht), als dass Gewe ihn in l1and-
werksmätssiger Kunst, oder Tischbein in jener virtuosen Zopfmalerei,
Wovon seine allzuzahlreichen Bilder in der Gallerie zu Cassel so be-
redtes Zeugniss geben, grossgezogen und nebenbei zum Bedienten
herabgewürdigt "hätte, wie er denn u. a. sich hätte verpflichten
müssen, hinter der Kutsche zu stehen, wenn der Herr Rath ausführe.
Denn wer kann dafür bürgen, dass der noch unreife Genius des
Knaben die Kraft seiner Fittiche bereits gefühlt und trotz allen
Widrigkeiten und gegen die herrschende Strömung einer Solchen
Schule aus eigenen Kräften schon damals einen höheren Flug ge-
nommen und nicht im Sümpfe seiner Umgebung untergegangen Wäre-
Es War vielleicht ein Glück für die Entwicklung Garstens, dass ihn
das Schicksal vor den geläufigen Gleisen des Virtuosenthunls bewahrte,
bis Geist, Charakter und Muth gereifter und stark genug waren,
sich der Verstrickung des wuchernden Unkrautes zu erwehren und
sich den eigenen von seinem Genius vorgezeichneten Weg zu bahnen.
Es gingen dadurch allerdings viele und kostbare Jahre verloren, hin-