558
Die
Wandmalerei.
den Klagen Vitruvs in Bezug auf die Verirrungen des Geschmackes seiner
Zeit, von dem er unstreitig die ausgesuchtesten Proben in den Häusern
reicher Emporkömmlinge zu Rom täglich vor Augen hatte, Gerechtigkeit
wiederfahren lassen, so müssen wir doch gestehen, dal's überall da, WO
in diesen phantastischen Verzierungen, ja selbst in jenen bizarren, oft
allen Regeln der Kunst spottenden architektonischen Compositionen, die
richtige Harmonie innegehalten ist, der Totaleindruck ein überaus günstiger
ist; jedesfalls aber verrathen diese Bilder in der Keckheit und Sicherheit
ihrer Zeichnung überall eine tüchtige Schule. Gerade dieser Mannigfaltig-
keit und Genialität der Zeichnung, sowie der harmonischen Zusammen-
stellung der Farben ist es wohl zuzuschreiben, wenn gegenwärtig die
Details antiker Wanddecorationen bei uns wieder zur Geltung kommen
und den für den besseren Geschmack so verderblichen Einilufs des
Roccocostyls zu brechen drohen.
Inwieweit die erhaltenen Wandmalereien Copien oder eigene Erfin-
dungen gewesen sind, können wir nicht bestimmen; bei einigen wenigen,
wie bei vier erhaltenen herculanischen Monochromen, hat der Künstler,
Alexandros von Athen, seinen Namen beigefügt, bei allen anderen hingegen
fehlt dieser Anhalt. Der Umstand aber, dafs unter den zahlreichen, zweien
so benachbarten Städten angehörenden Wandgemälden, trotz der wieder-
holt vorkommenden Behandlung eines und desselben Gegenstandes aus
der Mythologie und der Heroönsage, sich bis jetzt noch nicht zwei völlig
mit einander übereinstimmende Compositionen gefunden haben, führt zu
dem Schlufs, dal's ein Copiren bekannter und beliebter Meisterwerke zwar
in einzelnen Fällen wohl stattgefunden haben mag, die Decorationsmaler
aber meistentheils aus solchen schon vorhandenen Originalen nur einzelne
Motive für ihre Darstellungen entlehnten und im Uebrigcn durchaus selbst-
schaffend aufgetreten sind. Die häufige Wiederkehr gewisser Motive gerade
in den besseren Compositionen scheint aber wiederum darauf hinzudeuten,
dal's auch unter den Decorationsmalern sich Malerschulen, von tüchtigen
Künstlern ausgehend, gebildet hatten, welche sich durch die Behandlung
des Colorits und der Zeichnung, sowie durch eine fast stereotype Wieder-
holung einzelner Figuren kennzeichnen.
Alle vier Genres der Wandmalerei, deren Vitruv gedenkt, nämlich:
architektonische Ansichten, Bühnendarstellungen, landschaftliche Ansichten,
verbunden mit Scenen aus dem Alttagsleben und dem Stillehen, mit
welchen, wie Plinius sagt, der Maler Ludius zur Zeit des Augustus zuerst
die Wände der Privathäuser zu schmücken begonnen habe, endlich Dar-
stellungen aus dem Sagenkreise, finden wir in den Wandgemiilden von