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Das Amphitheater.
Amphitheater
(Ciäliseo).
des Flavius
wir schon bei dem Theater des Scaurus zu erwähnen Gelegenheit hatten.
Das vierte Stockwerk endlich, dessen Stufen bei weitem höher waren,
als die der beiden tiefer gelegenen Ränge, war durch einen offenen Porticus
überragt, der ebenfalls reich geschmückt war und unter welchem sich die
Sitze liir die Frauen und, vielleicht an den beiden Enden des längeren
Durchmessers, Plätze für das niedere Volk befunden zu haben scheinen.
Wir sehen also hier, wie die feste und bestimmte Gliederung, welche bei
aller Gleichheit der bürgerlichen Rechte das politische Leben und die
Gesellschaft der Römer kennzeichnet, auch hier wiederkehrt, und das
Coliseo auch in dieser Beziehung als ein rechtes Erzeugnifs des römischen
Lebens gelten kann.
nWenn das Volk," sagt Goethe einmal bei Gelegenheit des Amphi-
theaters zu Verona, vsich so beisammen sah, mufste es über sich selbst
erstaunen, denn da es sonst nur gewohnt, sich durch einander laufen zu
sehen, sich in einem Gewühle ohneOrdnung und sonderliche Zucht zu
finden, so sieht das vielköpfige, viclsinnige, schwankende, hin und her
irrende Thier sich zu einem edlen Körper vereinigt, zu einer Einheit be-
bestimmt, in eine Masse verbunden, als Eine Gestalt, von Einem Geiste
belebt." S0 will es uns denn bedünken, als 0b das römische Coliseo in
der Großartigkeit seiner Massen, in der Strenge seiner Conception und
in dem organischen Zusammenschlufs aller seiner Theile zu einem grofsen
harmonischen Ganzen uns ein treues Abbild des römischen Staates selbst
gewähre, und der beklagenswerthe Zustand des Gebäudes, an dessen Zer-
störung Jahrhunderte gearbeitet haben, ist wohl geeignet, jenem Bilde den
Hauch der Wehmuth über die gefallene Gröfse zu verleihen, ohne aber
den Eindruck verringern zu können, den die Erhabenheit der darin sich
verkörpernden Idee noch heut auf das Gemüth des Beschauers ausübt.