71. Gehen wir von den Sehutzbauten, wie Mauern, Thurm- und
Thoranlagen, zu den Nutzbauten über, so haben wir dies zugleich als
das Gebiet zu bezeichnen, auf dem sich der praktische Sinn der Römer
im vollsten Mafse hethätigen konnte. S0 tritt denn auch gerade in diesen
Anlagen eine bei weitem gröfsere Abweichung von den griechischen Bauten
hervor und es läfsl; sich eine bei weitem größere Mannigfaltigkeit der
Zwecke sowohl, als auch der Mittel wahrnehmen, durch welche man diese
Zwecke zu erreichen suchte. Man möchte sagen, dal's kaum irgend eine
andere Gattung von Gebäuden so geeignet sei, den Charakter und die
Bestrebungen des römischen Volkes so deutlich erkennen zu lassen, als
die von demselben unternommenen Nutzbauten.
Was zunächst den Wegebau anbelangt, so haben die Römer mit
scharfem Blick die Wichtigkeit desselben für das Staatsleben erkannt und
diesen Gesichtspunkt bei allen derartigen Anlagen mit großartiger Con-
sequenz verfolgt. Dies bezeichnet denn auch sogleich sehr bestimmt den
Gegensatz zu den Griechen; ein Gegensatz, der hier um so auffallender er-
scheint, als, wenigstens von dem Gesichtspunkte des ölfentlichen Verkehres
aus betrachtet, die Zwecke solcher Bauten bei den Griechen dieselben wie
bei den Römern waren. Aber blicken wir auf die Ausgangspunkte und
ersten Veranlassungen, so bietet sich schon darin eine gewisse Verschieden-
heit dar. Bei den Griechen scheint fast durchgängig ein, Wenn auch viel-
fach mit dem wirklichen Leben verknüpftes, doch auch nicht minder ideales
Bedürfnifs die erste Veranlassung zur kunstgerpiifsen Anlage gröfserer
Strafsen gegeben zu haben. Den Cultusgemeinschafteil befreundeter Staaten
sollten dieselben ein Mittel der Verbindung darbieten, den heiligen Pompen
und Theorien ihren Zug erleichtern bei den Römern ist es von vorn
herein der Staatszwcck, welcher die Anlage der grofsen Heerstrafsen be-
dingt. Der kunstgemäfse Wegebau beginnt mit den ersten Erweiterungen
des römischen Staates über seine ursprünglichen Grenzen hinaus. Ge-
wonnene Provinzen sollen mit dem Herzen des Staates, das heifst der
Stadt Rom, verbunden werden, und wenn dies auch allmälig zu einem
Mittel wurde, die Hauptstadt mit den Provinzen in geistiger wie commer-
cieller Beziehung zu verknüpfen, den Reichthum der Producte nach Rom
zu führen und umgekehrt die Strahlen der Intelligenz von Rom aus über
das ganze Reich zu verbreiten, so war doch der erste und ursprüngliche
Gesichtspunkt wohl nur selten ein anderer, als die nötbigen Truppenmassen
mit größtmöglicher Leichtigkeit nach den neuen Erwerbungen und den so
gewonnenen Schutzpunkten der römischen Macht hiniiberführen zu können.
Auf diese Weise ist die erste grofse Kunststrafse, die via Appia, und