Griechische Bildung in Italien und Rom.
355
Kriegswesen sowohl, als auch auf dem Gebiete der Künste und der Poesie
die glänzendsten Erfolge erreicht wurden. Kein Wunder, wenn überall
auf der italischen Halbinsel eine der griechischen verwandte und von ihr
ausgehende Bildung sich zu regen beginnt; Etrurien erfüllt sich mit grie-
chischen Kunstwerken und beginnt selbst mit jenen grofsen Vorbildern zu
rivalisiren; Apulien hatte von Anfang an sich in einer der griechischen
verwandten Weise entwickelt; in Lucanien und Campanien machen sich we-
nigstens zum grofsen Theile griechische Sprache und Schrift geltend, worin
sich stets ein Zeichen gröfster geistiger Gemeinschaft erkennen läfst, und
wenn auch damals Rom, das uns hier hauptsächlich beschäftigt, durch den
schwierigen und kampfreichen Ausbau seiner inncrenVerfassung, sowie durch
die, theils in Folge des kriegerischen Sinnes der Bewohner, theils durch die
Verhältnisse selbst gebotene Erweiterung des römischen Gebietes, verhindert
wurde, die Keime griechischer Gesittung mit Sammlung in sich aufzu-
nehmen und mit Ruhe und Hingebung zu pflegen, so konnte man sich
doch dem Einflusse griechischer Bildung als weltbestimmender Macht nicht
entziehen, und es kann kaum einen schlagenderen Beweis für die letztere
geben, als dafs trotz aller Ungunst der Verhältnisse (die bei weitem gröfser
als unter der Königsherrschaft war) vielfache und stets sich mehrende
Thatsachen die Einwirkung griechischer Sitten auf das römische Leben
bekunden.
Und zwar ist kaum ein Gebiet des römischen Lebens, das von dieser
Einwirkung sich ganz frei hält; staatliche Einrichtungen, Regulirung des
Verkehres, die Umgestaltung der Gesetzgebung gehen nach griechischen
Vorbildern vor sich; und während dies hauptsächlich durch hervorragende
Kenntnisse und Thiitigkeit Einzelner bedingt ist, so scheint sich mit der
Eroberung Campaniens im fünften Jahrhundert der Stadt die dort heimische
griechische Bildung in immer weitere Kreise zu ergiefsen, und was sonst
Vorrecht einer verhiiltnifsmäfsig geringen Zahl von Staatsmännern gewesen,
allmälig zum Erfordernifs allgemeiner Bildung selbst zu Werden. Doch
ganz abgesehen von diesem gewaltsamen und sich unaufhörlich steigernden
Eindringen griechischer Bildung, wodurch ein neues Element in das rö-
mische Staatsleben selbst eingeführt wurde und wonach neben der grie-
chischen Sitte auch die Unsitte (eben weil sie griechisch war) nicht selten
sich geltend machte, ist noch ein anderer Punkt aus dem Anfange dieser
Periode hervorzuheben, der für unseren Zweck, die Einflüsse griechischer
Baukunst auf die römische Tempel-Architektur nachzuweisen, von der
gröfsten Bedeutung ist.
Es ist dies der Umstand, dafs die alten Cultusbeziehungen zwischen
239i