Der Tod und die
Leicheubestattxmg.
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60. Waren wir bisher dem Griechen durch die wichtigsten Phasen
seines Lebens gefolgt, so bleibt uns jetzt noch die Pflicht, ihn auf seinem
letzten Lebensgange zur ewigen Ruhestätte zu geleiten und ihm 2d: dixmq
oder 1d vduqza, die allen I-Iellenen gemeinsam heiligen Satzungen, zukommen
zu lassen. Denn die Rechte des Todten zu wahren, ihm die letzte Ehre
zu bezeigen, damit nicht der Schatten des Verstorbenen an den Gestaden
der Gewässer der Unterwelt ruhelos umherirre, ohne Einlafs in die ely-
seisehen Gefilde finden zu können, war ein tief empfundener und wohl-
thuender Zug im griechischen Volksleben, den religiöse Vorstellungen und
Sitte zum Gesetz erhoben hatten. Daher der fromme Brauch, den Todten
zum letzten Gange zu schmücken, seinen irdischen Ueberresten ein ehren-
volles Begräbnifs zu Theil werden zu lassen, die Grabstiitte als heilig zu
achten und gegen jede Unbill zu schützen; daher die schöne Sitte, auch
die Gebeine der fern von der Heimath Gestorbenen auf den heimathlichen
Boden zu übertragen oder ihnen da, wo eine solche Uebertragung der
Ueberreste nicht möglich war, symbolisch eine leere Ruhestätte, ein Keno-
taphium, in der Heimath zu bereiten. Eine Schmach wäre es gewesen,
den in der Schlacht gefallenen Feinden die letzte Ehre des Begräbnisses
zu versagen, und kriegsrechtlicher Gebrauch war es, die Waffen so lange
ruhen zu lassen, bis Freund und Feind ihre gefallenen Brüder bestattet
hatten. Selbst für das Privatleben sprach das solonisehe Gesetz den Sohn,
dessen Vater sich einer unmoralischen Handlung gegen ihn schuldig ge-
macht hatte, von jeder Pflicht, die sonst Kinder ihren Eltern im Leben zu
erweisen haben, zwar frei, befreite ihn aber, wie Aeschines sich ausdrückt,
"nicht von der Pflicht, für den Fall des Todes seines Vaters, wo der,
welcher die Wohlthat empfängt, sie nicht mehr empfindet, dem Gesetz
und der Gottheit zu Ehren, ihn zu bestatten und die übrigen Gebräuche
zu erfüllenß Nur wer Vcrrath am Vaterlande geübt, wer eines todtwür-
digen Verbrechens sich schuldig gemacht hatte, dem wurde die Ehre des
Begräbnissesversagt. Unbeerdigt blieb sein Leichnam liegen, ein Raub der
wilden Thiere, und keine liebende Hand fand sich, um ihn wenigstens mit
einer Hand voll Erde zu bedecken. Das ehrenvolle Begräbnifs aber, Ömi
zaiv äavzoü äxyövwv uoelzö; xai ysyalongavraig zbzcpijvai, stellt Plato im
Hippias maj. als den schönsten Schlufsstein des Lebens eines Mannes dar,
der in Reichthum, Gesundheit und geehrt von seinen Mitmenschen ein
hohes Alter erreicht hat.
Gehen wir zunächst auf die in den heroischen Zeiten üblichen Trauer-
feierlichkeiten zurück. Das Zudrücken der Augen und der Lippen galt schon
in der homerischen Zeit als der erste Liebesdienst, 16 yäg 769a; 561i
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