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Gymnastik und Agonistik.
können, während das Ringen bereits den Wettkampf zweier Personen be-
dingt, so veranlafst doch die Gemeinsamkeit, in weicher diese Uebungeil
von mehreren Personen gleichen Alters und von gleichen Kräften ausge-
führt zu werden pflegen, ein gegenseitiges Messen und Prüfen der Kräfte,
ein Wetteifern der sich Uebenden untereinander, und so sehen wir in der
Gymnastik den Wettkampf (äyoiv) begründet. Das Streben nach Gewandt-
heit und Fertigkeit in den Leibesübungen, der Ehrgeiz, aus dem_Wett-
kampfe als Sieger hervorzugehen, wurde der Haupthebel zur Ausbildung
der höheren, ausschliefslich auf den Wettkampf gerichteten Gymnastik,
welche mit dem Namen Agonistik (äyazvtdzzxrf) bezeichnet wird. Die
Agonistik fand aber in den grofsen Nationalfesten der Hellenen, und unter
diesen vorzugsweise in den Festspielen zu Olympia, welche in jedem fünften
Jahre zur Zeit des erstenVollmondes des sommerlichen Sonnenwendepunktes
gefeiert wurden, ihren Hauptstützpunkt. Dorthin zogen, geladen durch Zeus'
Friedensboten, die Abgesandten der an der Festfeier sich betheiligenden Städte
und Herrscher, Schiffe führten von fernen Gestaden Schaaren schaulustiger
Hellenen herbei, dorthin eilte die Blüthe griechischer Jugend, eilte Alles,
was auf den heimischen Ringplätzen sich durch körperliche Tüchtigkeit
ausgezeichnet hatte, um unter den Augen einer unermefslichen Volksmenge
im edlen Agon um den Kranz des Zeus zu ringen. Nur wer von den
strengen Kampfrichtern, den Hellanodiken, für sittenrein und von ächt
helleniseher Herkunft befunden war, wer beweisen konnte, auf einem grie-
chischen Gymnasien während zehn Monate eine schulgcrechte Ausbildung
sich angeeignet zu haben, durfte zur silbernen Loosurne herantreten und
im heiligen Wettkampf sich versuchen. Und welcher Jubel begrüfste den
Sieger, welche Ehren erwarteten seiner am Siegesplatze und daheim bei
seiner Rückkehr in die Vaterstadt. Mit dem frischen Kranze des Oelbaums,
mit der Palme schmückten die Hellanodiken im Zeustempel den Sieger,
Hymnen ertönten, und Lobgediclite, wie sie ein Pindar sang, Inschriften
und bildliche Darstellungen in Erzgul's bewahrten auch für spätere Ge-
schlechter das Andenken an den Sieger. Je mehr jedoch das Streben
sich geltend machte, durch Gewandtheit und Körperstärlae in den öffent-
lichen Spielen zu glänzen und hier einen unsterblichen Ruhm, der ja der
Ehre eines römischen Triumphes glcichgeschätzt wurde, zu gewinnen, trat
der eigentliche pädagogische Zweck der Gymnastik, in der Jugend ein
kräftiges, zum Schutze des Staates tiichtiges Geschlecht heranzubilden, in
den Hintergrund. Ebenso wie die Kunst- nach Ueberwindung der tech-
nischen Schwierigkeiten nur allzuleieht in den Fehler der Künstelei und
Geziertheit verfällt, zeigte sich auch in der Gymnastik durch die Sucht