Bedeutung des
Tempels.
Vorstufen des Tempelbaus.
dem Gotte ein festes Haus bereitet, als Zeugnifs seiner schützenden Gegen-
wart, und ein Mittelpunkt geschaITen, um welchen die Uebung mannig-
facher Künste sich gruppirt; an dem Bau und der Ausschmücltung des
Tempels hat sich die Architektur zur schönen Kunst entwickelt; an dem
Bilde des darin wohnenden Gottes, sowie an dem auf seine Thaten und
Geschichte bezüglichen bildlichen Schmuck desselben hat die Sculptur sich
allmälig zu ihrer Vollendung emporgearbeitet; und wie in den geweihten
Räumen des Tempels selbst die Weihe versöhnenden Opfers vollzogen
wurde, so gestaltete er sich nach aufsen hin als Mittelpunkt festlicher
und würdiger Vorgänge, an denen das Leben der Griechen so reich war
und von denen dasselbe ein so künstlerisch schönes und wohlthuendes
Gepräge erhielt. Vor den Tempeln erklangen die Gesänge des gottbegei-
sterten Dichters; vor ihnen bewegten sich in gemessener Grazie die Fest-
züge der griechischen Jungfrauen und zeigte sich die kräftige Schönheit
der in stetem Wettstreit geübten Jünglinge; in ihrem Schatten wandelten
die Weisen und Führer des Volkes, und um sie schaarte sich der weite
Kreis der freien und ehrbaren Bürger, um sich aller dieser Erscheinungen
eines schönen, durch Kunst und Sitte veredelten Lebens zu erfreuen und
sich des hohen Gefühles, Griechen zu sein, mit gerechtem Stolze bewufst
zu werden. So wurde der Tempel zum Sammelpunkte alles Edlen um]
Schönen, das wir noch jetzt als den Rubin griechischer Bildung und
griechischer Gesittung betrachten, und ihm wendet sich daher auch zuerst
diese Betrachtung zu, die es sich zum Ziel gestellt hat, Geist und Wesen
des classischen Alterthums wenigstens von der Seite der Anschauung zu
lebendigerem und frischerem Bewufstsein zu bringen.
2. Nicht zu allen Zeiten aber bestanden bei den Griechen solche
Tempel, an welche sich der Cultus und die Verehrung bestimmter Götter
anknüpfen konnte. Ganz abgesehen von den frühesten Perioden der grie-
chischen Geschichte, während Welcher die Götter noch als namenlose und
unpersönlich gefafste Gewalten verehrt wurden, wie dies von den Pelas-
gern geschah, kam es auch in späteren Zeiten noch häufig vor, dals die
Gottheit in einem bestimmten Naturproduct gegenwärtig gedacht wurde.
So wurden Bäume und Quellen, Höhlen und Berge, auch ohne dafs ihnen
daselbst durch menschliche Kunst eine Wohnung geschaffen worden wäre,
als Sitze der Götter betrachtet und ihnen eine besondere Verehrung be-
wiesen. S0 kommt es vor, dafs gewissen Bäumen, die man als Male
und Sitze gewisser Götter ansah, Opfer und Spenden dargebraeht, sie
Selbäl mit Binden geschmückt, oder Altäre vor ihnen errichtet wurden.-