Volltext: Das Leben der Griechen und Römer

geholt hat, mit welchem die Braut sieh vor dem Verlassen des elterlichen 
Hauses zu waschen pflegte (vergl. S. 217). Fragend ruht der Blick dieses 
jungen Mädchens auf einer älteren matronalen Gestalt, welche sich von 
der anderen Seite her dem Wasserbecken nähert und prüfend die Spitzen 
ihrer Finger in das Wasser taucht. Ihre hehre Gestalt und priesterliche 
Kleidung, sowie das blattförmig gestaltete Instrument in ihrer Hand, 
welches vielleicht als Lustrations-Instrument gedeutet werden kann, lassen 
uns vermuthen, dafs der Künstler unter dieser Gestalt die Schntzgöttiil 
der Ehe, Hera Teleia, dargestellt habe, welche das Brautbad prüft und 
segnet. Schwer zu erklären freilich ist die dritte Figur, welche mit einer 
grofsen Tafel in den Armen im Hintergründe des Gemaches erscheint; 
vielleicht enthält nach Böttigefs Ansicht (Die aldobrandinische Hochzeit. 
S. 106) die Tafel das für die Ehe gestellte Horoskop. Wenden wir schliefs- 
lieh einen Blick auf die dritte Scene, welche rechts vom Beschauer vor 
dem Eingange des Brauthauses dargestellt ist. Auf der Schwelle des 
Hauses sitzt hier der mit Weinreben bekränzte Bräutigam und scheint 
lauschend die Beendigung der Ceremonien, welche im Innern des Hauses 
vor sich gehen, abzuwarten. Vor demselben auf dem Vorplatze des Hauses 
erblicken wir aber eine Gruppe von drei Mädchen, von denen das eine 
aus einer Patera an einem tragbaren Altar zu opfern scheint, während 
die beiden anderen unter Begleitung der Cither den Brautgesang an- 
stimmen. 
Zu dem bisher geschilderten sittsamen Leben ehrbarer Frauen bieten 
aber die gesellschaftlichen Zustände des alten Griechenlands in dem Hetären- 
Wesen ein Bild des schroifsten Gegensatzes. Mit der verfeinerten Bildung 
und den gesteigerten Anforderungen an das Leben trat jene Demoralisation 
eines Theiles des weiblichen Geschlechts ein, wie sich eine solche leider 
in manchen Staaten der Neuzeit in ganz gleicher Weise geltend macht 
und alle Schichten der Bevölkerung inficirt. Wir reden hier freilich nicht 
von jenem Auswurf des weiblichen Geschlechts, welcher im Dienste der 
Aphrodite Pandemos den Ausschweifungen der niedrigsten Volksclassen 
diente, sondern von jenen Frauen, welchen natürliche Reize, gepaart 
mit Geist, Witz und Gewandtheit, eine hervorragendere Stellung in der 
Gesellschaft anwiesen. Was die züchtige Jungfrau und Frau bei der Ein- 
gezogenheit ihrer Erziehung und ihres Lebens sich niemals anzueignen 
vermochte, nämlich jene durch den gesellschaftlichen Verkehr sich bildende 
Gewandtheit und Bildung, das wufste die Hetäre durch ihr alle beengenden 
Rücksiehten abstreifendes Leben sich im reichsten Mafse anzueignen, und 
dadurch nicht allein den jüngeren, sondern auch den gereiften Mann oft
	        
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