Volltext: Das Leben der Griechen und Römer

Fir das richtige Mafs in der Schönheit war aber nicht das ausschliefsliche 
Eigenthum einer bevorzugten Classe geblieben, es hatte vielmehr das ganze 
Volk durchdrungen. Die Leistungen in der Gefäfsbildnerei und Bemalung 
der Gefäße, welche doch nur als Productc handwerksmäfsigcr Kunstthätig- 
keit angesehen werden können, liefern dafür den besten Beleg. Stellt man 
die diese dritte Gruppe zahlreich vertretenden Monumente nebeneinander, 
so kann man innerhalb derselben deutlich die Fortschritte in der Auffas- 
sungsweise verfolgen. Anfangs giebt sich noch ein gewaltiges Ringen mit 
den conventionellen Formen der früheren Periode kund. Die Figuren zeigen 
in ihren Umrissen noch eine gewisse Schärfe und Härte: die Gewandung, 
wenngleich dieselbe den Körperformen schon mehr folgt, kann sich noch 
nicht von der früheren Strenge in der Behandlung frei machen, und eine 
ängstliche Sorgfalt ist noch auf die Ausbildung des Details verwandt, 
welches durch schwarze Linien angedeutet wird. Für die Musculatur und 
den kleineren Faltenwurf wird eine dunklere Schattirung der röthlichen 
Thonfarbc und für Kränze, Binden und Blumen eine dunkelrothe Farbe 
angewendet, während die weifse Farbe seltener erscheint und nur etwa 
zur Andeutung des weifsen Haares bei Greisen aufgetragen ist. Dafür aber 
tritt in der Composition eine gröfsere Einheit und Concentrirung der Hand- 
lung ein und gleichzeitig, wie bei den Basreliefs auf den Giebelfeldern der 
Tempel, eine gewisse Symmetrie in der Gruppirung und eine richtige Be- 
nutzung des gegebenen Raumes. Die Figuren selbst zeigen eine strenge, 
feierliche Würde, da die durch Bewegung bedingte Grazie noch fehlt, aber 
überall istbereits der Uebergang zu einer freieren Behandlung angestrebt. 
Nicht mit Unrecht bezeichnet daher Kramer diese Periode als die des 
strengen Styls und vergleicht dieselbe mit jenem Styl in der Plastik, 
welcher unter dem Namen des aiginetischen bekannt ist. Die Bahn zu 
einer künstlerischen und natürlicheren Behandlung war somit eröffnet, und 
so sehen wir aus dem strengen Styl sich die von Kramer als die des 
schönen Styls bezeichnete Periode entwickeln. Die ernste Würde in der 
Haltung der Figuren schwindet, Lebensfrische, Schönheit und Anmuth in 
Bewegung und Gewandung, sowie eine Hinneigung zum Zarten und 
Weichen spricht sich überall aus. Dieser Uebergang vom strengen zum 
schönen Styl liefse sich, wenn wir überhaupt eine handwerksmäfsige 
Kunstübung mit den Leistungen in der höheren Kunst parallelisiren 
wollen, vielleicht mit der Entwickelung Raphaelis aus der noch im 
strengen Styl befangenen Schule Peruginds vergleichen. Auch in der 
antiken Malerei fand nach den Zeugnissen des Alterthums ein solcher 
Uebergang von der Schule Polygnofs zu der eines Zeuxis und Parrha-
	        
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