Rhythmische
Theilung.
Es wurde schon bei Besprechung der textilen lllaterialien
daran erinnert, dass dieselben jene Gruppe structiver Producte bilden,
welche von wesentlich eurhythmischer Zusammensetzung sind. Jedes
textile Product ist von rhythmischer Structur, denn eine Anzahl glei-
cher Einheiten, die Fiiden, verbinden sich in ihm zur Gesammtheit.
Dieser Sachverhalt ist für das ganze, große Formengebiet tex-
tiler Ornamentik von allermaßgebendstem Einflusse. Denn für die
in unmittelbarer Abhängigkeit von der technischen Zusammensetzung
stehende ornamentale Form muss es naturgemäß völlig bestimmend
sein, welcher Art eben jene Zusammensetzung ist.
Gleich an dieser ersten Stelle schon trennen sich deshalb die
beiden Kunstprincipien der textilen und der tektonischen Formen.
Im Tektonischen nämlich ist das technische Element auch for-
males Element, nicht aber im Textilen. Denn während dort das
einzelne Element (z. B. ein einzelner Stab im Gitterwerk) bestimmt
ist, im Gesammtwerke (dem Gitter) eine ganz selbständige, indi-
viduelle Rolle zu spielen und daher nicht leicht mit einem zweiten
Element des Systems verwechselt werden kann, entfällt im 'l'extilen
diese selbständige, individuelle Bedeutung des einzelnen technischen
Elementes (d. h. Fadens) vollständig. Eurhythmische Gleichheit
ist über alle Elemente des structiven Systems gebreitet; kein Ele-
ment ist bestimmt, wie im Tektonischen, auf individuelle Weise aus
dieser Gleichheit herauszutreten, keines berufen, selbständig und
von einem zweiten verschieden zu functionieren.
Aus diesem Grunde hat im Textilen das technische Element
(der Faden) nicht die Bedeutung eines formalen Elementes, tritt
vielmehr als solches gar nicht hervor oder besser, verschwindet in
der eurhythmischen Gesammtheit.
Diese technische Eigenthümlichkeit des dbxtilproductes ist neben
seinem Flächencharakter der maßgebendste Bestimmungsgrund der
ornamentalen Durchbildung.
Eurhythmie ist somit das leitende Grundgesetz
textiler Ornamentation; das eurhythmische Ornament
das Ornament der textilen Form. 1)
1) Es kann als ein bedeutsames Zusammentreffen bezeichnet werden, dass in
der textilen Ornamentik püanzliche und geometrische Motive nicht bloß ihrer Con-
iour-Verhältnisse wegen (siehe weiter oben), sondern auch deshalb vorwiegend Ver-
wendung finden, weil ihre rhythmische Natur (siehe Capitel: Jilurhythmie") sich mit
der rhythmischen Natur der Textilformen deckt.