Volltext: Grundriss der kunstgewerblichen Formenlehre

Es wird sich uns im weiteren Verlaufe noch mehrfach Gelegen- 
heit ergeben auf das Gesetz der Unterordnung zurückzukommen. 
Dagegen sei gleich hier die eigentlich einzige große Aus n ahme, 
welche dieses (zuletzt der Natur selbst entlehnte) Gesetz hat, fest- 
gestellt. Es ist dies das orientalische Flachmuster. Das Princip, 
nach welchem dasselbe gebildet ist, ist gerade entgegengesetzt 
dem Gesetze der Unterordnung. Völlige Nebenordnung, gänzliche 
Gleichwertigkeit aller Details tritt an Stelle der Unterordnung und 
Verschiedenwcrtigkeit. Das ornamentale Resultat ist freilich auch 
hier Ruhe und Gleichgewicht in der Gesammtwvirkung. Allein das 
Mittel, wodurch dieses Resultat herbeigeführt wird, ist entgegen- 
gesetzt dem des abendländischen Ornamentationsprincips; denn bei 
diesem tritt die geforderte Ruhe ein durch die Herrschaft einzelner 
Ilaupt-Linicn über die untergeordneten Linien, beim orientalischen 
Muster dagegen durch den Gegensatz zahlreicher, aber in ihrer orna- 
mentalen Wirkung sich gegenseitig aufhebender Linien. 
VII. Der Contrast. (Gegensatz) Die Wirkung jedweder 
natürlichen Erscheinung ist mitbestimmt durch die Umgebung, in 
welcher sie zustande kommt. Dies gilt ohne Ausnahme, und 
die Art der Erscheinung ist dabei von vornherein völlig einerlei. 
Sie mag physikalischer Natur oder ein seelischer Vorgang sein, stets 
wird die Nachbarschaft einer zweiten Erscheinung ihren Einfluss 
auf jene ausüben.  Im Physikalischen: das hellste Licht wirft 
den dunkelsten Schatten.  Im Seelischen: der größte Schmerz ist 
der, welchen wir nach einem verlorenen Glück empfinden.  Diesen 
Einfluss gegensätzlicher Erscheinungen nennt man die iVirkung des 
Contrastes. 
Die gesammte Kunst, die Dichtkunst und die Musik nicht min- 
der als die bildende Kunst bedient sich des Contrastes als eines 
berechtigten künstlerischen Hilfsmittels. Bei der Dichtkunst ist es 
der Gegensatz der den lvorten zugrunde liegenden Begriffe, welcher 
die Contrastivirkung herbeiführt;  in der Musik der Gegensatz 
in der Klangwirkung der Instrumente und der Tonstärke;  in der 
bildenden, zumal ornamentalen Kunst endlich der Unterschied, der Ge- 
gensatz in den Größen, Formen, Farben u. s. w. Soll ein Gegenstand 
in seiner Wirkung vergrößert werden, so kann dies erreicht werden 
doch vor allem Eines mit Klarheit aus derselben zu erhellen, nämlich: dass es eben 
des ganzen, gewaltigen Kunstgenies Michel Angeles bedurfte, jenes Princip der "De- 
duction" beim bilrlnerischen Schafen umgehen zu können.  Gegen die allgemeine, 
fundamentale Giltigkeit unseres Principes aber beweist diese Ausnahme nichts. 
Feldegg, Grundriss der kunstgewerbl. Formenlehre. 2 
	        
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