Volltext: Grundriss der kunstgewerblichen Formenlehre

sehein li chkeit begründet zu sein: _denn unter allen  zahllosen! 
 möglichen Fällen ist allemal nur ein einziger mit parallelem 
Verlauf der Linien (etwa bei einem Faltenwurf); also verhält sich 
dieser zu allen übrigen zusammengenommen wie Eins zu Unendlich 
 was die Wahrscheinlichkeit seines Eintrittes betrifft; diese ist 
daher nach streng mathematischen Gesetzen gleich Null. 
II. Ein Hauptmerkmal der elassischen und der Renaissance- 
formen ist ihre angemessene Voluminosität, d. h. jede Form hat 
die innerhalb ihrer Grenzen möglichste Breite. Und die Kunst 
folgt hierin der gesunden und lebenskräftigen Natur. Magerkeit 
und. Dürftigkeit ist ihr fremd;  ihren figuralen Gebilden nicht 
minder als ihren ornainentalen. 
III. Charakteristik. Ein Contour wird umso charakteristischer 
sein, als er individualisierter ist, d. h. die seiner Bedeutung ange- 
messene Gestaltung starker zum Ausdruck gelangt.  Das alles 
nivellierende, jeden Contrast und mit ihm jede Eigenthümlichkeit 
(Individualität) ausgleichende Rundlich e,  welches als eine Art 
Normaltypus jede Form in sich schließt, sie gleich einem Sack 
umhüllend,  ist der ärgste Feind des Charaktcristischen. Sein 
natürlicher und angemessener Gegensatz ist das Kantige. 
Es genüge hier die Andeutung dieser Regel, da ihre so wichtige 
künstlerische Verwertung ja doch einer von Fall zu Fall schreitenden 
Praxis anheimgestellt werden muss. 
IV. Theilung, verkleinert, auch wenn die Theile beisammen 
bleiben. Ein einfacher optischer Versuch erweist die Thatsache. 
Zwei Stangen von genau gleicher Länge, die eine einfarbig und 
glatt, die andern in verschieden gefärbte Strecken oder plastische 
Gliederungen getheilt, erscheinen dem Auge ungleich lang und zivar 
die erstere verhältnismäßig um so länger, als die zweite öfter und 
reicher getheilt ist. Dies gibt uns ein wichtiges ornamentales Hilfs- 
mittel an die Hand. Überall, wo es gilt, Größen (Flachen oder 
Strecken) zu Gunsten der Verhältnisse zu verkleinern, muss man sie 
theilen. Die Verkleinerung erfolgt dabei natürlich stets in der zu 
den Theilungsstrichen senkrechten Richtung.  
V. Proportionale Theilung. Proportionalität zwischen glei- 
chen Theilen ist unmöglich, eben weil Proportionalitätt die 
Beziehung ungleicher Theile zu einander" ist. Daraus folgt, dass 
gleiche Theile, da, wo keine eurhythmische oder etwa symmetrische 
WVirkung beabsichtigt wird, vermieden werden sollen  ihrer pro- 
portionalen Irrelevanz (Bedeutungslosigkeit) wegen. So sind z. B.
	        
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