Volltext: Grundriss der kunstgewerblichen Formenlehre

dass das Kleid der stete Begleiter des Menschen ist in allen seinen 
Verrichtungen,  sich diesen je nach Umständen anpassend, sie 
fördernd, sie hindernd, ja selbst sie in ihrem Gelingen in vielen 
Füllen allererst ermögliehend. Das Kleid ist in diesem Sinne ver- 
gleichbar der menschlichen Physiognomie, denn wie diese ist es 
hervorgegangen aus dem Charakter desjenigen, welcher es trägt. 
Naturgemäß werden im Costüm zunächst jene Züge des Volkes 
zum Ausdruck kommen, welche seine Lebensweise und Bildung im 
großen und ganzen bestimmen. Ob ein Volk sesshaft oder noma- 
disierend, ob es kriegerisch, jagend oder ackerbauend und der 
höheren Bildung erschlossen ist  das wird zunächst und mit zwin- 
gender Nothwendigkeit in seiner Tracht sich abspiegeln. 
Nach diesen allgemeinen und ein Volk in seiner culturellen 
Rangstellung bezeichnenden Eigenschaften werden es Wiederum eine 
Reihe von Charakterzügen sein, welche, obwohl zunächst individuell 
und persönlich, doch im großen und ganzen auch auf ein ganzes 
Volk sich zu erstrecken vermögen, um sodann ebenfalls auf seine 
nationale Kleidung von nicht zu unterschätzendem und höchst merk- 
würdigem Einfluss zu sein. Ich meine Eigenschaften wie z. B. die be- 
kannte einfache und vornehme Würde desjonischen Griechen oder den 
in seinen Grundzügen jener wohl verwandten und doch wiederum 
in Einigem abweichenden üppigen Stolz der Römer.  Um bei 
diesen zwei Beispielen zu bleiben: Wie klar ist in der edlen grie- 
chischen Gewandung die bei aller Energie und Kraft doch stets 
maßvolle Bewegung des im Gymnasien kunstgerecht entwickelten 
Körpers vorgebildet, und wieder, wie bezeichnend ist in dem über- 
reichen Faltenwurf der römischen Toga die bei aller Vornehmheit 
etwas träge und schlemmerische, prunkstichtige und theatralische 
Natur des später-n Römers zum Ausdruck gebracht! 
Das sind Unterschiede, wie sie nicht bloß den Bildungsgrad 
eines Volkes kennzeichnen, sondern wie sie sogar auf die bestimmte, 
eigenthümliche und qualitative Natur dieser Bildung uns zu schließen 
erlauben. Als weitere, dritte, mitbestimmende Ursache der Tracht 
eines Volkes müssen wir den Wohnsitz desselben betrachten; denn 
die klimatischen Verhältnisse und topographischen Beschaffenheiten 
eines Landes können nicht unberücksichtigt bleiben bei der Anfer- 
tigung des Gewandes als künstlichem Leibesschutz, der, wie wir 
wissen, zunächst bestimmt ist, den Einflüssen der Witterung Trotz 
zu bieten. Allgemeiner Culturzustand, Nationalcharakter und Klima 
sind also die drei Factoren, von welchen das Costüm eines Volkes, 
als Ganzes betrachtet, bedungen ist.
	        
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