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aber wird es als stilistisch sehr gewagt betrachtet werden
müssen, Heiligengestalten in so structiv thätige Bauglieder,
wie die Hohlkehlen hineinzulegen, für deren Ornamen-
tierung ohne Zweifel sich Laubwerk weit besser eignen
würde, und wird die Sache um so bedenklicher, wenn eine
consequente Verwendung der Figuren zu derartigen misslichen
Anordnungen führen muss, wie in den beiden angeführten
Fällen. Aber auch der untere Theil der inneren Leibungs-
flache des_ gothischen Prachtportales ist zumeist mit
Heiligenfiguren auf Säulchen stehend decoriert, so dass die
gothische Faqade in diesem Tlieile in der That einen un-
gewöhnlichen Figurenreichthum dar-bietet. So sind beispiels-
weise an der Kathedrale von Chartres fast zwei Tausend
kleinere und grössere Figuren angeordnet, welche die ganze
Lehre von der Erlösung dem Beschauer vorführen und
ausserdem noch andere historische und symbolische Dar-
Stellungen enthalten.
Charakteristisch für die Bildung der gothischen Hei-
ligeniigur ist die innige Verbindung zwischen Architektur
und Plastik, beide sind von demselben Geiste beseelt, der
mit allen antiken Traditionen gebrochen hat und aus eigener
Kraft Neues zu schaffen im Stande war. Wenn sich auch mehrere
Gestaltungsformen und Perioden in der Gothik feststellen
lassen, so wird man immerhin im Allgemeinen sagen
können, dass die gothische Heiligenfigur sich durch strengen
Stil, massige Bewegung, in die Länge gezogene Gestalten
und reiche zerknitterte Gewandung auszeichnet.
Der äussere architektonische Aufbau gothischer Kirchen
zeigt aber auch an mehreren anderen Theilen ziemlich
häufig Anordnungen von menschlichen und thierischen
Formen in ganzer Gestalt. Von sehr origineller Bildung
sind gewisse an den Balustraden der Kathedralen zuweilen